Wäre Marx heute ein Kapitalist?

von Max Molden

Die Planwirtschaft sollte ein effizienteres und humaneres System schaffen als den Kapitalismus. Aber sie kann nicht funktionieren. Gut möglich, dass Karl Marx im Lichte des Scheiterns des Sozialismus heute ein Kapitalist wäre – und kein Befürworter des Interventionismus.

Karl Marx gilt als der wohl einflussreichste Denker des Sozialismus. Gemeinsam mit seinem Wegbegleiter Friedrich Engels forderte er, die ‚Anarchie des Marktes‘ abzuschaffen und den Marktprozess durch ein rationalistischeres, effizienteres System zu ersetzen. Dabei verneinte Marx nicht, dass der Markt durchaus eine gewisse Ordnung schafft. Vielmehr meinte Marx, dass mit dem Sozialismus ein besseres System zur Verfügung steht.

Die Idee hinter dem Marxschen Sozialismus ist dabei bestechend: auf dem Markt planen ganz viele rivalisierende Unternehmer, ohne einen dahinterstehenden Plan. Würde man nun einfach nicht nur Unternehmen organisieren, sondern auch den gesamten Produktionsprozess an sich, dann würde man ein viel effizienteres System schaffen, wo die verschwenderischen Ausgaben fürs Wettbewerben wegfielen. Nicht zuletzt könnte so ein System auch wahre soziale Kohäsion schaffen, da die Produktion von der Entlohnung getrennt werden könnte und somit die Möglichkeit bestünde, ein wahrhaft gerechtes System zu schaffen.

Die Planwirtschaft scheitert

Die planwirtschaftliche Vision hat sich aber als Illusion erwiesen. Die sozialistischen Versuche sind allesamt gescheitert. Unter heftigem menschlichen Leid ging 1921 das große sowjetische Experiment einer wahrhaftigen Planwirtschaft unter. Die Produktion funktionierte kaum mehr, Millionen verhungerten. Und die Planwirtschaft wurde aufgegeben. Selbst die Sowjetunion danach war keine richtige Planwirtschaft mehr. Aber bereits in Bezug auf das frühe sowjetische Experiment gibt es berechtigte Zweifel, ob es wirklich eine Planwirtschaft war – hatten sich doch, wie der russische Ökonom Boris Brutzkus schon damals schrieb, die Menschen verzweifelt gegen die Kollektivierungen gewehrt.

Aber auch auf theoretischer Ebene ist die Aussichtslosigkeit einer Planwirtschaft bewiesen. Zunächst einmal ist es praktisch wohl unmöglich, die Produktionsmittel ausnahmslos zu verstaatlichen. Und selbst wenn dies gelänge, würde eine Planwirtschaft mangels Preisen scheitern, wie sich in der Wirtschaftsrechnungsdebatte herauskristallisierte.

Zwei realistische Alternativen

Wo stünde nun also Karl Marx, wenn er heute wieder unter den Lebenden weilte? Angesichts der empirischen und theoretischen Erkenntnisse scheint die Hoffnung nicht verquer, Marx würde der Planwirtschaft abschwören. Denn so handelten nach 1989 viele. Für sie war der Sozialismus tot. So erklärte der Sozialist Robert Heilbroner, dass “the contest between capitalism and socialism is over: capitalism has won”. Wenn Marx es ebenso täte, blieben ihm zwei Optionen über: Er könnte sich entweder der Marktwirtschaft zuwenden. Er könnte also zum Anhänger jenes Systems werden, in dem der staatliche Zwang maßgeblich darauf beschränkt ist, das Privateigentum und die freiwilligen Verträge zu schützen. Oder er könnte zum Advokaten des Interventionismus werden, wonach es zwar grundsätzlich einen Marktprozess geben sollte, der Staat aber dennoch hier und dort eingreifen muss, um Gerechtigkeits- und Effizienzziele zu erreichen, da es zu Marktversagen kommt. Und zwar mit Zwangsmaßnahmen. Viele haben sich der Mischwirtschaft zugewendet, also dem begrenztem Planen.

Aber ist es die humane Option, dann für einen eingehegten Markt, also die Mischwirtschaft einzutreten? Für ein System, in dem es zwar freies Unternehmertum und Gewinne gibt, aber doch bitte nur in klaren, staatlich gesetzten Grenzen? Ein System, in dem die gierigen Unternehmer und fiesen Manager durch staatliche Regulierung daran gehindert werden, Arbeitnehmer auszubeuten? Diese Überlegung hat ihren Reiz. Aber es gibt gewichtige Gründe, wieso jene, die im Herzen – wie Marx – Sozialisten sind, aber die Planwirtschaft als unmöglich betrachten, sich dem radikalen Gegenentwurf, also einer freien Marktwirtschaft, zuwenden sollten, und nicht dem interventionistischen Mittelweg.

Das mag auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheinen. Wenn es schon nicht möglich ist, eine Planwirtschaft zu haben, dann sollte man doch nicht sofort ins komplett gegenüberliegende Lager wechseln. Der Staat sollte vielmehr weiterhin eine gewichtige Rolle spielen, wenn auch nicht jene, die er in einer Planwirtschaft zu spielen hätte. Aber genau dem liegt ein Irrtum zugrunde.

Die Krankheiten des Interventionismus

Genau jene Gründe, aus denen die Planwirtschaft scheitert, sind dafür verantwortlich, dass der Interventionismus scheitert – wenn auch nicht im selben Ausmaße. So verändern Interventionen Preise – sei es direkt durch Mietpreisregulierungen oder indirekt durch Bauregulierungen. Hier fällt der Mischwirtschaft das Gleiche vor die Füße wie der Planwirtschaft. Den Planern fehlt in beiden Fällen das notwendige Wissen, um effiziente Markteingriffe vorzunehmen. Darüber hinaus sind die isolierten Interventionen von einer Widersprüchlichkeit geplagt, da die Unternehmer abseits der isolierten Intervention weiterhin frei agieren können, was dann aber die Intentionen der Planer konterkariert. Wie Israel Kirzner beschreibt, sind die „Tücken der Regulierung“ eine einfache Erweiterung der Tücken der Planwirtschaft, die in der Wirtschaftsrechnungsdebatte beschrieben wurden und als das Wissensproblem bezeichnet werden können.

Doch damit nicht genug. In der Planwirtschaft besteht auch das Problem, dass die Planer nicht das, wie auch immer spezifizierte, Gemeinwohl im Blick haben. Stattdessen forcieren sie ihre eigenen Interessen. Das Problem taucht wiederum auf, wenn Planer in der Mischwirtschaft handeln. Korrupte Bürokraten und Politiker, die im Zusammenspiel mit mächtigen Interessengruppen Partikularinteressen bedienen, sind das erwartbare Symptom der Mischwirtschaft. Und etwas, das wir heute allzu oft beobachten können. Zum Beispiel, während der Finanzkrise 2007/2008, die zu riesigen Bailouts zugunsten großer Banken geführt hat.

Die Marktwirtschaft ist kein perfektes System. Sie ist aber eine gute und robuste Lösung für die epistemischen und moralischen Mängel der Menschen. Die Planwirtschaft hat sich, das würde wohl auch ein Karl Marx eingestehen, als unpassend erwiesen, da sie weder mit dem Wissensproblem noch mit der moralischen Imperfektion des Menschen umgehen kann. Daraus folgt aber vielmehr, dass der richtige Schritt der radikale ist: jener zur Marktwirtschaft – und nicht zu einem interventionistischen System, das an den gleichen Problemen krankt wie die Planwirtschaft, wenn auch in abgeschwächter Form.

Wo stünde Marx heute?

Marx selber hatte sich bereits kritisch gegenüber Interventionen geäußert. Als Befürworter des historischen Materialismus ergab das auch Sinn. Denn Interventionen konnten ja nur das Ausspielen der Produktivkräfte hindern, die aber doch in Richtung Sozialismus (und Kommunismus) voranschreiten sollten. Marx und Engels sprachen daher abfällig von den Bourgeoissozialisten, zu denen die „Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen“ und die „Winkelreformer der buntscheckigsten Art“ zählen. Nicht zuletzt war sich Marx über die Public-Choice-Probleme bewusst, die durch ihr Eigeninteresse verfolgende Akteure entstehen, wie sogenanntes rent seeking. Die Mischwirtschaft ist aber geradezu eine Einladung für solches rentseeking. Gleichzeitig zu seiner Kritik an der Mischwirtschaft betonte Marx, dass der Markt gute Seiten hat:

Es ist gesagt worden und mag gesagt werden, daß das Schöne und Große eben in diesem naturwüchsigen, vom Wissen und Wollen der Individuen unabhängigen, und grade ihre wechselseitige Unabhängigkeit und Gleichgültigkeit gegeneinander voraussetzenden Zusammenhang, materiellen und geistigen Stoffwechsel, beruht. Und sicher ist dieser sachliche Zusammenhang ihrer Zusammenhangslosigkeit vorzuziehn oder einem auf Bluturenge Natur und Herrschafts- und Knechtschafts[verhältnisse] gegründet[en] nur lokalen Zusammenhang.

Marx spricht hier vom Markt, dessen sachlichen Zusammenhang er als wünschenswert erachtet, und den er u.a. Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen gegenüber bevorzugt. Interventionen aber stellen ja gerade solch ein Verhältnis dar: der herrschende Staat zwingt seine Bürger zu Handlungen, die sie nicht wollen, wie z.B. Steuergelder für Bankenrettungen bereitzustellen oder nur unter bestimmten Auflagen miteinander zu tauschen, wenn es Lizenzen bedarf oder Preisregulierungen gibt.

Die Marktwirtschaft als die beste Alternative unter realistischen Bedingungen

Eine Planwirtschaft mag also prinzipiell die effizienteste Lösung für die Probleme der sozialen Kooperation bieten. Nur dass sie an der Realität scheitern muss. Aus ihrem Scheitern folgt die Frage, was unter realistischen Bedingungen die beste Möglichkeit ist. Die Marktwirtschaft oder die Mischwirtschaft? Ein freier Markt oder beständige Staatseingriffe in den Markt? Die gleichen Gründe, die für das Scheitern der Planwirtschaft verantwortlich sind, sind es auch, die Staatseingriffe und die Mischwirtschaft zum Scheitern verdammen.

Karl Marx hatte die Hoffnung, mit der Planwirtschaft eine bessere Welt zu schaffen. Heute hat sich diese Hoffnung als Illusion erwiesen. Vor der Frage, was nun zu tun ist, stehen viele, die die Planwirtschaft für eine grandiose und attraktive Idee halten oder zumindest hielten und die in ihrem Herzen Sozialisten sind. Viele haben sich dem Interventionismus, also den begrenzten, zwangsbasierten Staatseingriffen zugewandt. Aber gerade das ist nicht die radikale Alternative: es ist vielmehr ein hoffnungslos konfuses System, das zu heftigen Ineffizienzen führt, wie derzeit auf dem Wohnungsmarkt zu sehen, und kleine, gut organisierte Gruppen zulasten der breiten Masse begünstigt – steuerfinanzierte Bailouts für die Wallstreet sind da nur das prominenteste Beispiel für die Ungerechtigkeiten, die die Mischwirtschaft erzeugt. Die radikale Alternative ist die freie Marktwirtschaft. Sie ist die beste Lösung nach dem theoretischen Utopia der Planwirtschaft, welches aber nun mal scheitern muss. Die Chancen stünden vielleicht gar nicht mal so schlecht, dass Karl Marx dies eingesehen hätte – und heute ein Kapitalist wäre, wie Don Lavoie mal spekulierte, und kein Befürworter des Interventionismus.

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