Eine globale Mindeststeuer beeinträchtigt das Wachstum von Entwicklungsländern

von Emanuele Martinelli

Im Oktober 2021 haben 136 Länder ein von der OECD initiiertes Abkommen unterzeichnet, das in den betreffenden Ländern eine Mindeststeuer für Unternehmen garantieren soll. Diese Richtlinie, die beinahe 90 % der Weltwirtschaft betrifft, entspringt dem Bemühen, die internationale Zusammenarbeit bezüglich einer strikteren und stärkeren Kontrolle der Fiskalpolitik zu intensivieren. Das erklärte Ziel der globalen Mindeststeuer sind multinationale Konzerne. Die Mindeststeuer soll sicherstellen, dass Großkonzerne ihren Steuerverbindlichkeiten gegenüber den Ländern, in denen sie tätig sind, nicht entfliehen können, indem sie ihren Unternehmenssitz oder ihre Produktionsstätten ins Ausland, in sogenannte Steueroasen, verlegen.

Um diese Offensive gegen multinationale Konzerne zu lancieren, soll die globale Mindessteuer so koordiniert werden, dass ein Unternehmen in jedem Land, in dem es tätig ist, eine Mindeststeuer von 15 % zahlen muss, gleich ob ihr Profit in diesem Land bilanziert wird oder ob in diesem Land überhaupt Profite erwirtschaftet werden. Die Begründung hierfür lautet natürlich, dass der soziale Nutzen, der aus der Besteuerung von multinationalen Konzernen in jedem Land ihrer Geschäftstätigkeit resultiert, den Schaden übertrifft, denen man diesen Unternehmen zufügt, indem man dasselbe steuerrechtliche Objekt mehrfach besteuert.

Der Vorschlag einer globalen Mindeststeuer wurde von der Europäischen Kommission am 22. Dezember 2021 positiv aufgenommen, und die Kommission ersinnt nun einen Plan, eine der ersten Gemeinschaften weltweit zu sein, die eine solche Regulierung umsetzt. Dies wurde als großartiger Schritt in Richtung größerer Integration innerhalb der Europäischen Union gelobt, da die fiskale Struktur der EU hierdurch eine Harmonisierung und Stabilisierung erfahre. Das besondere Ziel war es hierbei, das Abwerben von in anderen Ländern ansässigen Unternehmen durch Mitgliedstaaten zu unterbinden, indem man niedrigere Steuersätze in Aussicht stellt, wobei sich diese Praxis die Integrationsvereinbarungen der EU wie etwa die gemeinsame Wettbewerbspolitik zunutze macht.

Diese Angelegenheit ist der großen Differenz geschuldet, die zwischen den Steuersätzen für Unternehmen über die verschiedenen Mitgliedstaaten hinweg besteht. Gegenwärtig gelten in Bulgarien (10 %), Kroatien (12 %/18 %), Zypern (12,5 %), Estland (0 %/14 %/ 20 %), Ungarn (9 %), Irland (12,5 %), Litauen (5 %/15 %), Malta (5 %/10 %/35 %), Polen (9 %/ 19 %) und Rumänien (1 %) entweder ein Pauschalsteuersatz oder gestufte Steuersätze für Unternehmen, die unter der 15 % Grenze liegen. Diese Länder müssten ihre Steuerpolitik entsprechend anpassen. Das Vereinigte Königreich und Spanien müssten zudem ihre besonderen Steuervergünstigungen beenden, die auf der Isle of Man beziehungsweise den Kanarischen Inseln gelten.

Es gibt Gründe, den Vorschlag der OECD grundsätzlich abzulehnen. Erstens würde eine globale Mindeststeuer ausländischen Investitionen die Anreize entziehen, da durch eine Doppelbesteuerung für Unternehmen der Zugang zum Welthandel erschwert würde. Dieser Angriff auf die Globalisierung könnte ernsthafte Konsequenzen für Innovationen haben, die durch internationale Zusammenarbeit und Integration befördert werden. Darüber hinaus könnten schwächere Anreize, die Geschäftstätigkeit international auszurichten, dazu führen, dass Entwicklungsländer Nachteile erfahren, da es für größere ausländische Firmen schwieriger wäre, aus der Befriedigung der dortigen Nachfrage Profit zu schlagen.

Sogar in der EU, und allgemein auf dem europäischen Kontinent, können wir beobachten, dass niedrigere Steuersätze nicht nur von reichen Steueroasen genutzt werden, um die Steuereinnahmen von multinationalen Konzernen abzuschöpfen: Sie dienen Entwicklungsländern als Anreiz, um Arbeitsplätze zu schaffen und ihre Ökonomie zu entwickeln. Eine globale Mindeststeuer würde deren Wettbewerbsfähigkeit beschneiden und darüber hinaus die Dominanz der reichen westlichen Länder zementieren – im Namen von internationaler Transparenz und Fairness.

Zweitens wären gemäß der sogenannten “Zweiten Säule” der OECD-Vorlage öffentliche Akteure von der globalen Mindeststeuer ausgenommen, um deren Bemühungen um Erhaltung von bestimmten Grundsätzen oder Werten zu unterstützen. Besonders im Kontext einer großen internationalen Integration, wie sie in der EU herrscht, würde dies wahrscheinlich bedeuten, dass der öffentliche Sektor unfaire Wettbewerbsvorteile gegenüber privaten Akteuren hätte. Dies würde eine Nationalisierung im Hinblick auf Dienstleistungen in der Ökonomie befördern sowie privates Unternehmertum und Innovationen behindern.

Der dritte und vielleicht wichtigste Nachteil, warum die globale Mindeststeuer eine schlechte Idee ist, hat jedoch insbesondere mit den Nachteilen zu tun, welche besonders die EU erleiden könnte. Eine globale Mindeststeuer ist per definitionem ein Angriff auf den institutionellen Wettbewerb. Harmonisierung und Stabilität würden mutmaßlich erreicht, aber zulasten der Möglichkeit, dass ein Land oder eine politische Institution mit seinen Nachbarn darum konkurriert, Fachkräfte und Firmen durch bessere institutionelle Bedingungen in das eigene Land zu locken.

Dies führt zu einem Teufelskreis, da der institutionelle Wettbewerb jede Regierung unter Druck setzt, produktiven Firmen bessere Anreize zu bieten, sich innerhalb der eigenen Landesgrenzen anzusiedeln. Dies führt wiederum zu allgemein besseren Lebensbedingungen und Wirtschaftswachstum für alle. Natürlich ist die Möglichkeit, die Unternehmenssteuersätze zu senken, um wohlhabende Unternehmen anzulocken, so dass diese Arbeitsplätze und Entwicklungsperspektiven schaffen, ein Türöffner für institutionellen Wettbewerb.

Bislang war der institutionelle Wettbewerb genau genommen der Schlüssel für Europas Erfolg, über seine gesamte Geschichte hinweg. Hierin lag der Grund, warum jeder Versuch, den Kontinent zu zentralisieren, von Charlemagne über Napoleon zu Hitler, letztendlich gescheitert ist. Und tatsächlich war Europa historisch immer in eine Vielzahl politischer Gemeinschaft zergliedert, die darum bemüht waren, Händler, Adlige, Intellektuelle und allgemein erfolgreiche Leute für sich zu gewinnen und durch deren Zutun zu wachsen. Dieser Prozess hatte stets positive Auswirkungen für die Lebensbedingungen auf dem Kontinent. Diesen Prozess durch eine auf Homogenisierung statt auf Wettbewerb basierende Integration abrupt zu beenden, ist schlicht sehr gefährlich.

Der Beitrag erschien im Original bei den Young Voices Europe und wird hier mit freundlicher Genehmigung in deutscher Übersetzung erneut veröffentlicht. Übersetzt von Stefan Kosak. Der Beitrag spiegelt die Meinung des Autors, nicht notwendigerweise jene der Organisation wider. Dieser Blog bietet eine Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Du möchtest auch einen Artikel beisteuern? Schreib uns einfach eine Mail: redaktion@derfreydenker.de!

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