Coverfoto: Casa Rosada (Argentina Presidency of the Nation)
In einer vor einigen Monaten noch für undenkbar gehaltenen politischen Wende hat Argentinien nun seinen ersten libertären Präsidenten vereidigt: Javier Milei. Ein Mann, der mit seinen radikalen Ansichten und seinem lauten Auftreten das politische Establishment herausfordert. Doch wer ist dieser exzentrische Ökonom, und wie hat er es geschafft, in nur 10 Jahren vom unbekannten Radiomoderator zum Präsidenten aufzusteigen?
Hätte man vor sechs Monaten gefragt, wer Javier Milei ist, hätten nur politisch Interessierte und Hardcore-Libertäre eine Antwort geben können. Spätestens seit dem 19. November wissen aber die meisten, wer der exzentrische Ökonom ist: der neue Präsident von Argentinien. Der 10. Dezember ist ein denkwürdiger Tag, der als jener Tag in die Geschichte eingehen wird, an dem der erste libertäre Präsident vereidigt wurde. Gegen alle Erwartungen konnte sich Milei gegen das politische Establishment durchsetzen. Mit fast drei Millionen Stimmen Vorsprung und 55,65% aller Stimmen – das stärkste Resultat eines Kandidaten seit der Redemokratisierung Argentiniens.
Mileis Weg zur Präsidentschaft war jedoch weder einfach noch gewöhnlich. Seit 2012 kommentierte er die politischen Geschehnisse in Argentinien, und seit 2014 war er regelmäßiger Gast in argentinischen Talkshows. Wer in den letzten Wochen auf Twitter unterwegs war, dürfte Videoclips seiner Auftritte gesehen haben. Laut, ungefiltert und vor allem radikal. In einem Land, das seit Jahrzehnten vom Sozialismus beherrscht wurde, wurde Mileis direkte und aggressive Art schnell zu einer Ikone für die wenigen Libertären im Land. Regelmäßig konnte man an seinem Revers das unverwechselbare Pin der Students For Liberty erkennen. Als Public Intellectual verfasste er zahlreiche Bücher und beeinflusste die jüngere Generation, nicht nur in Argentinien, sondern in ganz Lateinamerika.
Argentinien, ein Land, das vor 100 Jahren zu den wohlhabendsten der Welt gehörte, steckt seit Jahren in einer tiefen Krise. Allein im Oktober dieses Jahres stiegen die Preise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 142,7%. Jeder fünfte Argentinier unter 24 ist arbeitslos. Die Anzahl der gewaltsamen Raubüberfälle stieg zwischen 2020 und 2022 um mehr als ein Drittel an. Die jungen Menschen haben kaum eine Perspektive. Währenddessen kritisiert Milei nicht nur – insbesondere die politische Kaste. Er bietet auch stets Lösungen und Alternativen an – dabei integriert er Ideen der Ökonomen Murray Rothbard, Milton Friedman und Robert Lucas. Kein Zufall, dass seine vier englischen Mastiffs die Namen dieser Denker tragen.
Auf seinen Auftritten beleidigt Milei Politiker regelmäßig: “Parasiten”, “Nichtskönner”, “Räuber”. Daher überraschte es, als er sich 2020 entschied, für das Abgeordnetenhaus zu kandidieren. Viele Libertäre kehrten ihm den Rücken – denn mit diesem Schritt würde er genau zu dem werden, was er am meisten kritisierte: zu einem Politiker. Während seiner Zeit als Abgeordneter verloste er seine Diäten, 200.000 argentinische Pesos jeden Monat. Er nutzte die politische Bühne, um mehr Menschen zu erreichen, und baute gleichzeitig eine libertäre Partei auf. Während viele Libertäre der Meinung sind, dass das System nicht reformierbar ist, dass es zu korrupt ist und wir uns stattdessen Parallelstrukturen zuwenden sollten, erreichte Milei neue Meilensteine. Gadsen-Flaggen flatterten bei jeder Veranstaltung und jedem Besuch. Die Rufe nach Freiheit wurden immer lauter. „Viva la Libertad, Carajo!“ wurde zur Maxime.
Wer die politische und wirtschaftliche Geschichte Argentiniens kennt, erkennt, dass Milei in nur zehn Jahren etwas Außergewöhnliches erreicht hat. Es ist schon jetzt ein riesiger Erfolg, dass eine Bevölkerung, die so staatsgläubig indoktriniert ist, sich den Ideen des Liberalismus und sogar des Libertarismus öffnet. Dass Milei es geschafft hat, gegen das unsterbliche Peronismo (nach Juan Perón, dem langjährigen argentinischen Präsidenten; Sozialismus mit argentinischen Elementen) zu gewinnen, wird Experten in den nächsten Jahren beschäftigen. Allerdings steht das Schwierigste noch bevor.
Die Erfahrung mit der liberal-konservativen Regierung von Mauricio Macri (2014-2019) zeigt, dass Reformen in einem sozialistisch geprägten Land schwierig sind. Macri, der die Lösung für das Elend des Sozialismus sein sollte, konnte seine Ziele kaum erreichen und anerkannte sein Versagen. Milei zeigt jedoch, dass er nicht nur ein Theoretiker und Agitator ist, sondern dass er auch ein Gespür für Diplomatie und politische Taktik hat. „Ich betrachte dies als Arbeit und werde alles in meiner Macht Stehende tun, um es so gut wie möglich zu machen (…) Ich atme Pragmatismus“, bekräftigte er nach der Wahl. Er scheint sich über die gigantischen Erwartungen im Klaren zu sein. Umgehend nach seiner seiner Wahl hat er begonnen, die notwendigen Maßnahmen vorzubereiten. Vor zwei Wochen besuchte er Washington und New York, wo er sich mit Vertretern des Internationalen Währungsfonds und der Regierung von Joe Biden traf. „Wir werden zu einem strategischen Partner der Vereinigten Staaten“, erklärte er nach seiner Rückkehr nach Buenos Aires. Milei weiß, dass er Investitionen und starke politische Unterstützung braucht, um erfolgreich zu sein. Ein Treffen mit Elon Musk ist für 2024 geplant.
Die argentinische Außenpolitik wie auch Handelspolitik werden eine radikale Wende erfahren. Milei hat bereits angekündigt, dass Argentinien kein BRICS-Staat sein wird. „Wir werden uns nicht mit denen zusammen tun, die gegen die Freiheit und die liberale Demokratie sind, nicht mit den Autokraten und den Kommunisten“, erklärte er. Während Milei sehr kritisch gegenüber der Volksrepublik China, Russland und weiteren autoritären Regimen ist, konnte er bereits die eingeschlafenen Partnerschaften zwischen westlichen, liberalen Ländern wiederbeleben und andere daran erinnern, dass Freiheit für Menschen, Märkte und Ideen die Lösung für mehr Wohlstand ist.
Milei, der deutlich radikalere Ziele als seine Vorgänger hat, wird höhere Hürden überwinden und größere Herausforderungen meistern müssen. Seine Reformen sind entscheidend, damit Argentinien langfristig freier und wohlhabender sein kann. Aber kurzfristig wird es auch zu Chaos und Unsicherheit kommen. Gerade da aber, wo diese Probleme auftreten, muss Milei seine Reformen konsequent durchsetzen. Das ist umso wichtiger, da ein Milei’scher Misserfolg allen libertären Projekten schaden könnte – nicht nur Argentinien. Die Feinde der Freiheit beobachten jeden Schritt von Milei genau – in vier Jahren muss er beweisen, dass der Libertarismus mehr als eine Theorie ist. Ein Erfolg könnte eine Welle libertärer Ideen auslösen, ein Misserfolg könnte den Libertarismus als politische Alternative zunichte machen.
Bis dahin können wir nur sagen: Viva la Libertad, Carajo!