Coronazis! Covidioten? Eine Analyse der Diskussion um die pandemiebedingten Maßnahmen

von Vincent Czyrnik

Corona spaltet Deutschland, Corona spaltet die Welt. Wir blicken nach Leipzig, Berlin, Paris. Überall dort fanden in den letzten Monaten Corona-Demos statt, wo Menschen gegen die pandemiebedingten Maßnahmen protestierten. „Corona-Gegner“, „Corona-Skeptiker“ oder „Corona-Leugner“ sind zu regelrechten Kampfbegriffen im medialen und politischen Diskurs geworden. Die Menschen auf Corona-Demos halten selten Abstandsregeln ein, Masken tragen auch nur wenige.

Denn für sie, oder zumindest für einige von ihnen, sind Masken und Abstand sinnlos, genauso wie die aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Auf der anderen Seite schüttelt die Öffentlichkeit den Kopf, verleugnet sie als Covidioten und macht sie für das schnellere Ausbreiten der Pandemie verantwortlich. Beide Seiten fühlen sich im Recht und jeder hat selbst schon mal die Erfahrung gemacht, dass es sehr schwer fällt, die Gegenseite mit Fakten zu überzeugen.

Die Gruppe der Corona-Kritiker ist sehr divers. Das Spektrum beginnt mit Menschen, die einige wenige Corona-Maßnahmen kritisieren. Sie sorgen sich um die wirtschaftlichen Schäden, die aus der Schließung von Restaurants, Bars und Einzelhandel resultieren. Sie befürchten steigende Arbeitslosenzahlen, Pleitewellen der deutschen Firmen bis hin zu einer schweren wirtschaftlichen Rezension. Diese Menschen haben aber Verständnis für die Eindämmungsmaßnahmen der Pandemie, wie das Tragen einer Alltagsmaske oder das Abstandhalten im öffentlichen Leben.

Eine andere Gruppe sorgt sich um die Psyche der Menschen. Depression könnte zu einer neuen Volkskrankheit werden, und auch die Selbstmordrate könnte steigen. Die Berliner Polizei rückte in diesem Jahr bereits über 294 mal wegen versuchtem Suizid aus – im letzten Jahr waren es nur 3 solcher Fälle. Auch Angst- und Panikstörungen könnten weiter zunehmen. Den Grund dafür sehen Psychologen unter anderem in den täglichen Meldungen von Corona-Infektionen und Todeszahlen, welche uns mit dem Tod konfrontieren. Wenn diese absolute Zahlen von Toten und Infektionen präsentiert werden, kann unser rationaler Verstand aussetzen. Unserem Gehirn fehlt ein Vergleich wie zu den Zahlen von Verkehrstoten oder Herzinfarktopfern. Es kommt zu dem Phänomen der Wahrscheinlichkeitsvernachlässigung, bei dem wir einzelne Risiken überschätzen (den Tod an Corona) und andere unterschlagen (die Gefahr vom alltäglichem Autofahren oder von Depressionen).

Weitere Corona-Kritiker richten sich schon in einem drastischeren Ton an die Politik. Sie kritisieren die Gesundheitspolitik der letzten Jahre oder gar Jahrzehnte, bei der das Gesundheitssystem „zu Tode gespart“ wurde. Der Mangel an Krankenschwestern und Krankenpflegern ist nun in aller Deutlichkeit sichtbar, wodurch auch die Intensivbetten nicht erweitert werden können. Zwar stimmt es nicht, dass Intensivbetten systematisch abgebaut wurden, doch mussten trotzdem in Zeiten der Pandemie die Anzahl dieser Betten verkleinert werden, da das Personal knapp wird.

Nur eine kleine, aber laute Gruppe geht weiter: Sie wirft der Bundesregierung vor, dass die Pandemiemaßnahmen nicht (nur) der Gesundheit dienen, sondern der Kontrolle der Bevölkerung. Es stecke ein großer Plan dahinter. Auch diese Gruppe ist nicht homogen. So gibt es vereinzelt Liberale, die schon lange das Ideal der Freiheit für sich gefunden haben und jedem politischem Wirken kritisch gegenüberstehen. Es gibt aber auch Menschen, die ein Verbrechen gegen die Menschheit mit Akteuren wie Bill Gates oder George Soros vermuten. Nur wenige davon sind für die Gewaltakte bei den Demonstrationen in Berlin und Leipzig verantwortlich

Die Befürworter der pandemiebedingten Maßnahmen sehen in Corona-Kritikern die Gefahr, dass sie die Hygienemaßnahmen selbst nicht einhalten und zudem ihre Mitmenschen zu diesem gesundheitsgefährdenden Verhalten bewegen. Daraus folgen dann steigende Infektionszahlen und damit einhergehend – mehr Tote. Auch einige Befürworter verstehen, dass die Schließung von Einzelhandel oder das Verbot von kontrollierten Stadionbesuchen die Infektionszahlen nur marginal reduzieren, doch haben diese Verbote vor allem einen psychologischen Effekt: Menschen treffen sich auch im privaten Bereich weniger, tragen häufiger ihre Masken und halten den Mindestabstand ein.

Schon Immanuel Kant sagte: Räsoniert, aber gehorcht! Das bedeutet, dass die Corona-Maßnahmen von allen eingehalten werden sollten, die Gedanken dazu aber weiterhin frei geäußert werden dürfen. Die Corona-Befürworter sehen darin die Gefahr, dass der psychologische Effekt, dass sich Menschen im privaten Bereich weniger treffen, durch das öffentliche Diskutieren verloren geht. Der Schrecken des Lockdowns verliert seine Wirkung.

Einige Corona-Gegner gehen tatsächlich soweit, die Maßnahmen nicht einzuhalten. Sie handeln entgegen Kants‘ Ideal. Statt Kant stehen auf ihren Fahnen die Worte von Hannah Arendt: „Niemand hat das Recht zu gehorchen“. Corona-Befürworter bringt das auf die Palme. Jedes Nichteinhalten der Maßnahmen führt zu mehr Toten. Diese Wut führt dazu, dass Corona-Gegner dann als Covidioten bezeichnet werden.

Der Begriff Covidiot ist dabei ein sehr wertender Begriff. Er wirft der politischen Gegenseite vor, widersinnig und töricht zu handeln. Die Gegenseite fühlt sich provoziert und schlägt mit Begriffen wie Coronazi zurück. Corona-Befürworter werden mit den Mitläufern und Tätern im Dritten Reich verglichen. Ein Teufelskreis. Auf welcher Seite man auch steht, die Diskussion um die pandemiebedingten Maßnahmen ist aufgeladen. Sie ähnelt einem Stierkampf. Die eine Seite provoziert, die andere gerät in Rage. Mal ist die eine Seite der Torero, mal ist sie der Stier. 

Edit Dezember 2021

Mittlerweile hat der Stierkampf an Fronten gewonnen: Wo es vor einem Jahr größtenteils „nur“ um den Lockdown ging, geht es jetzt beim Impfthema heiß her. Die eine Seite fordert eine Impfpflicht, damit die Covidioten endlich nicht mehr mit ihrer Impfverweigerung die Allgemeinheit gefährden. Wenn alle Geimpft seien, könne die Pandemie beendet werden – oder zumindest die Gefahr überlasteter Krankenhäuser verringert werden. Markus Söder meinte sogar, dass eine Impfpflicht die Spaltung der Gesellschaft überwinden könnte.

Auf der anderen Seiten fühlen sich die Impfkritiker bestätigt: der Staat greift weiter zu rigorosen Maßnahmen und Boris Palmer, Tübinger Oberbürgermeister und im letztes Jahr noch bekannt als Maßnahmenkritiker, fordert nun eine Beugehaft für Ungeimpfte. Im Klartext: Wer aus welchen Gründen auch immer eine Impfung ablehnt, könnte demnächst eingesperrt werden. Dabei ist fraglich, wie der Staat das bei über zehn Millionen Menschen (so viele Ungeimpfte gibt es in Deutschland) bei der langsamen deutschen Bürokratie bewerkstelligen will. Wird es so laufen wie in Australien, wo bereits jetzt Lager für Quarantänebrecher existieren?

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