Liberty Rising und die Anbeter des Todes

von Max Remke

Jetzt heißt es Adieu, Tschüss, Auf Wiedersehen, denn das ist meine letzte Kolumne für den Szenereporter. Doch der Grund für meinen Abschied ist keine Enttäuschung, sondern ein lebenslanges Versprechen aus dem Jahr 2019. Es ist ein glückliches Versprechen.

Es wird nicht dunkel in Seoul. Es wird nie ganz dunkel auf dem Dach meines Goshiwon (eine Art privates Wohnheim), hier auf dem Hügel im Iwah-Bezirk. Die koreanische Hauptstadt ist zu hell, zu viele Lichter, zu viel Leben, das sich rasend, blinkend, werbend in dieser Metropole drängt. Wie ein warmes Alpenglühen, ja, wie ein schwacher Heiligenschein liegt eine Lichtglocke auch noch um vier Uhr Nachts bis zum Horizont über den Dächern. Die Temperaturen sind inzwischen frisch, der Atem kondensiert, als wir mit einem Schwur die entschiedene Frage beantworten: Warum hier und nicht in Deutschland? Warum tobt hier der Kapitalismus, der Materialismus, der Konsumismus, der zur Schau getragene Individualismus, das Leistungsdenken, der unablässige Wettbewerb, der unbändige Fortschritt in jedem Lebensbereich und nicht in unserer Heimat Deutschland?

Die Frage beschäftigt uns noch lange nachdem wir 2020 wieder übermüdet und mit Jetlag in Frankfurt aufgeschlagen sind. Ein halbes Jahr ist vergangen, nicht viel hat sich verändert und die Regionalbahn gondelt noch genauso vertraut wie bei unserer Abreise ein halbes Jahr zuvor zwischen Kassel und Göttingen. Aber wir haben uns verändert, haben hunderte Stunden Konzepte besprochen, Politik und Kultur hoch und runter diskutiert und schließlich einen Entschluss gefasst: Liberty Rising. Deutschlands erste libertäre Jugendorganisation. 

Wir beginnen im September 2020 und sind winzig. Stefan, Johannes, ich und eine selbstgebaute Webseite mit wenigen Texten und einem Codex. Drei Freunde, kein Geld, aber ein Plan. Wir haben die Auftritte der Liberalen und Libertären in Deutschland analysiert, uns Hayek-Gesellschaft, Mises-Institut, Prometheus und all die anderen angeschaut und immer wieder die Frage gestellt: Warum reißen die alle nichts? Warum ist ganz Deutschland ein Kult mit nur einem moralischen Ziel: Dem Menschenopfer? Denn genau darum geht es in unserer herrschenden Moral ja: Du bist moralisch, wenn Du deine Arbeitsleistung für die Schwachen, Faulen und Armen opferst und andere durch „Umverteilung“ zu diesem Opfer zwingst. Du bist moralisch, wenn Du deinen Fußabdruck auf diesem Planeten reduzierst und zwar umso moralischer, je kleiner dein Fußabdruck ist. Der beste Mensch hinterlässt keine Spuren in dieser Welt. Zugespitzt: Der Tod ist unser herrschendes Ideal geworden in einer Philosophie, die den Menschen nur noch als Diskriminierer, Ausbeuter und Naturzerstörer kennt. Der Mensch, das wandelnde moralische Nettominus der Welt.

All diese Analysen führten uns zu einer Antwort. All die Liberalen und auch viele Libertäre widersprachen nicht. Allen voran die Partei des deutschen Liberalismus, die FDP. Sie beugten sich der moralischen Übermacht der ideologischen Feinde und erklärten stattdessen: Ja, die Natur muss bewahrt werden, aber mit mehr Markt geht das besser. Ja, Diskriminierung ist wirklich schlimm, aber mit dem Markt wird das besser. Ja, der Kapitalismus ist ungerecht, aber unsere Marktwirtschaft ist ja sozial und nicht radikal. All das ist nicht falsch, aber jede dieser Antworten bedeutet bereits eine Kapitulation vor der Moral der Gegner, der Anbeter des Nichtlebens. Nie wurde die grundsätzliche Frage gestellt: Moralisch schlecht, aber nach welchem Maßstab?

Wir entschlossen uns, uns dieser Frage zu stellen und sie grundsätzlich anders zu beantworten. Wir schrieben einen Codex, der fordert: „unterwirf die Natur“, denn nicht das Überleben irgendwelcher Polarbären, das Verschwinden irgendwelcher Wälder ist der Maßstab, sondern Dein Glück! Nicht Deine Schwächen, deine Fehler, deine tragische Vergangenheit geben Dir ein Anrecht auf nur eine Sekunde, auf nur einen Cent deiner Mitmenschen, sondern nur deine Qualitäten. Du lebst nicht um irgendwem zu dienen, außer deinem eigenen höchsten Glück. Und ab dem Punkt, wo Du beginnst andere Menschen für Dein Glück aufzuopfern, bist Du unser Feind.

Und wir warteten, horchten in den Äther, ob irgendwer unsere Antwort vernehmen würde. Natürlich halfen wir auch nach, trafen uns bspw. mit den Marktradikalen, die bereits (unter ihrem alten Namen MLPD) schon in dieser Kolumne behandelt wurden. Ich startete nach langem hin und her einen YouTube-Kanal, Stefan wagte sich auf Instagram und eine alte, dahindümpelende Facebookseite wurde gekauft und unter Johannes’ Kommando gestellt.

Dann kamen die ersten Leute, erst tröpfelnd, inzwischen aber schon als verlässlicher Strom. Wir gewannen unsere ersten frischen Mitglieder innerhalb der ersten zwei Monate. Es waren, wenn mich die Erinnerung nicht trübt, genau zwei. Heute sind es fast zehnmal so viele, die jeden Monat an unsere digitale Tür klopfen, um mit uns eine Gegenkultur zu errichten. Eine moralische Bastion des Lebens in einer Welt, die den Tod liebt. 

Keine einzige schicke Konferenz mit langen, tiefen akademischen Rechtfertigungsversuchen für die eigene Existenz haben wir seitdem organisiert. Wir haben Social-Media-Präsenz aufgebaut. Keine einzige Tagung über Inflation und Zentralbanken zusammengestellt, sondern stattdessen das Liberty Sunrise organisiert, Deutschlands erstes libertäres Sommercamp und das größte Treffen junger Freiheitsfreunde, das es je in diesem Land gab. Wir haben nicht auf die Universitäten geschielt, denn wir haben sie als moralisches Feindesland erkannt und wir wurden mit arbeitenden Menschen, Schülern und genau jenen Studenten belohnt, welche sich der postheroischen, postmodernen, postindividualistischen Ideologie der akademischen Blase widersetzt haben. Menschen der Tat, die philosophische Fragen genau so weit faszinieren, wie sie dazu helfen, die erste Frage jeder menschlichen Existenz zu beantworten: Wie soll ich richtig leben?

Es sind Leute wie ich, die eine schwierige Entscheidung getroffen haben: Karriere, Ansehen, schmeichelnder Applaus der moralischen Mehrheit – oder ihre eigene Integrität, ihre eigenen, freiheitlichen Werte. Es sind Leute, die erkannt haben, dass eine graue Moral nicht mehr ist als eine Flucht vor der Entscheidung Schwarz oder Weiß zu sein. Es sind für mich die freiheitlichen Helden des Hier und Jetzt. Und bereits ihre Existenz stellt an jeden einzelnen freiheitsliebenden Menschen in Deutschland die Aufforderung, sich moralisch zu bekennen: Freiheit & Leben oder Knechtschaft & Tod.

Heute gibt es lokale Treffen in allen Teilen Deutschlands. In Hannover, Göttingen, Essen, Leipzig, Berlin, Hamburg, Frankfurt, München. Heute gibt es Partner, die an unserer Seite stehen, heute hat sich unser Mut und ein Jahr unablässiger, zermürbender, leidenschaftlicher Arbeit für die Freiheit bereits ausgezahlt. Es wird sich bald noch mehr auszahlen, mit einem größeren Sunrise, einer Schülerkonferenz, einem Ayn Rand Freundestreffen, Schlungskursen in Aktivismus und weiteren lokalen Treffen, die schon jetzt in Stuttgart, Bielefeld, Düsseldorf und anderen Orten geplant werden. 

All das ist Liberty Rising, unsere Bewegung, inzwischen geworden. Dieser Erfolg, macht mich stolz. Aber er fordert auch seinen Tribut. Mir fehlt die Zeit, weiter für den Freydenker und sein relativ kleines Publikum zu schreiben. Ich weiß nicht, wie viele Leser meine Artikel gelesen haben, wie viele Leser der Freydenker hat. Den Likes und Reaktionen in den sozialen Medien nach im Moment noch nicht allzu viele. Und jede Minute, die ich über die freiheitliche Szene schreibe, fehlt mir um sie aufzubauen. Mehr noch, mir scheint, dass ich inzwischen fast alles Berichtenswerte berichtet habe. Zeit also, wieder Nachrichtenwertes zu schaffen. Und so holt mich jenes Versprechen ein, das ich damals, Ende 2019 auf jenem Dach in Seoul der Welt, aber vor allem mir selbst gegeben habe. Denn der letzte Satz des Liberty Rising Codexes lautet: „Ich sprenge meine Fesseln, indem ich die Fesseln anderer sprenge.” 

Wer selbst Lust auf den kompromisslosen Freiheitskampf hat, findet uns auf: libertyrising.de oder über unseren Discord: https://discord.com/invite/TZzmRQaY4A

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