Rufe nach staatlicher Regulierung sind en vogue. Wehe den Immobilienhaien! Wehe den Riesenkonzernen! Wehe den Reichen! Staatliche Regulierung bedeutet aber mehr Macht für den Staat. Und im Machtkampf hat die Masse häufig das Nachsehen gegen die Eliten.
Der Grundtenor: es gibt im privaten Bereich ein Machtungleichgewicht. Die Armen, die Verbraucher, die Angestellten haben keine Chance, ihre Interessen durchzusetzen gegen die Reichen, die Konzerne, die Manager. Der arme Rentner, die alleinerziehende Mutter, die junge Arbeiterin – sie können sich selbst nicht schützen gegen diejenigen, die durch ihre wirtschaftliche Stärke so einflussreich sind. Nur der Staat kann dieses Ungleichgewicht wieder in Balance bringen. Und das eben, indem er reguliert.
Das klingt einleuchtend. Es sind hehre Ziele mit entsprechenden Mittelvorschlägen. Aber eines ist klar. Sie begünstigen eine Gruppe auf Kosten einer anderen – und das by design. Mietendeckel mögen mancher Bestandsmieterin helfen, sie schaden aber der Immobilienbesitzerin. Mehr Rechte für den Arbeitnehmer helfen diesem, schaden aber dem Unternehmer. Produktionsrichtlinien und Verbote mögen im Interesse der Konsumenten sein, kosten den Konzernen aber Geld. Höhere Unternehmenssteuern können für die Bürger verwendet werden, gehen aber zulasten der Eigentümer.
Wenn aber klar ist, dass bei solcher Regulierung einer profitiert und ein anderer die Kosten trägt, dann ist auch unbestreitbar, dass Letzterer ein Interesse hat, diese Regulierung zu umgehen – oder aber in seinem Sinne umzugestalten. Diese Einsicht ist ziemlich banal. Wenn der mächtige Staat dem Immobilienbesitzer schadet, dann wird dieser sich überlegen, was er dagegen tun kann. Und die vielleicht einfachste Möglichkeit ist es, den politischen Prozess im eigenen Sinne zu gestalten. Salopp gesagt: Lobbyismus für die eigenen Interesse betreiben. Den Staat für sich nutzen. Auf dass er nicht dem Konsumenten hilft, sondern den Produzenten unterstützt.
Dieses Phänomen wird in der Literatur nach George Stigler „regulatory capture“ genannt. Das „Kapern“ des regulatorischen Prozesses durch diejenigen, die reguliert werden. Während es notwendigerweise der Fall ist, dass der Regulierte (also: Gezwungene) ein Interesse hat, die Regulierung in seinem Sinne anzupassen, gibt es natürlich keine Erfolgsgewissheit dafür. Gut möglich, dass die Reichen, die mächtigen Konzerne oder auch der Arzt, der keine Konkurrenz will oder vielleicht der Handwerker, der sich vor günstigeren Rivalen schützen möchte, scheitern.
Entscheidend ist aber die Frage nach der Erfolgswahrscheinlichkeit. Und hier scheint es doch so, dass die Erfolgschancen größer sind für jene, die wir zur wirtschaftlichen Elite zählen. Sie sind es, die im direkten Kontakt mit der politischen Elite stehen. Sie sind es, die Telefonnummern kennen, die auf gemeinsamen Galas und Abendessen zugegen sind. Sie sind es, die der Politikerin oder der Beamtin ein Angebot machen können – sie können zahlen für freundliche Regulierung. Sei es durch eine Wahlkampfspende an die Partei. Sei es durch eine Einladung zu Speis und Trank im gediegenen Restaurant. Sei es durch das spannende Job-Angebot nach der Parlaments- oder Beamten-Karriere.
Der normale Bürger kann bei solchen Geschäften nicht mithalten. Welche Politiker kennt er schon? Was hat er schon zu bieten im Austausch für ansprechende Regulierung? Der Schritt zum Regulierungsstaat ist der Schritt in ein Spiel, in dem die Eliten deutlich bessere Karten in den Händen halten als die Massen. Es ist ein Spiel, das für die Bürger folglich meistens in einer Niederlage münden wird.
Dass es sich um Regulierung handelt, ist dabei entscheidend. Denn diese ist meist undurchsichtig, kompliziert und in langen Paragraphen niedergeschrieben. Sie ist anders als direkte Geldtransfers – denn die sind offensichtlich und würden die Wähler erzürnen und eine Gegenreaktion hervorrufen. Aber welcher Wähler versteht schon die Bedeutung eines Gesetzes, das die etablierten Unternehmen vor neuer Konkurrenz schützt und ihre Gewinne sichert oder vergrößert und im Kleid der „Qualitätssicherung“, des „Konsumentenschutzes“, der „Industriepolitik“, der „Steuereinzelfallgerechtigkeit“ oder der „Subventionen für Zukunftsindustrien“ daherkommt? Diese Regulierungen sind keine direkten Transfers, sondern Maßnahmen, die der Gewinnsicherung und -ausweitung der wirtschaftlichen Elite dienen. Genau deswegen sind sie schwer zu erkennen. Aber trotzdem sind sie zum Vorteil einer kleinen Gruppe.
Es kommt natürlich nicht zwangsläufig zu „regulatory capture“. Aber ausgeschlossen ist es bei weitem nicht in einem Spiel, in dem ungleiche Partner spielen. Es ist auch möglich, dass der ein oder andere die Regulierung aus hehren Motiven unterstützt – das gewährleistet aber nicht, dass die Regulierung hehre Effekte hat. Und: der Ruf nach Regulierung ist auch gleichbedeutend mit dem generellen Abbau der Schranken des Staates. Mit ihm geht einher steigende Macht und Diskretion derjenigen, die die Gewalt in ihren Händen wissen. Das muss so sein, denn der Staat soll ja gerade Einzelnen helfen und anderen schaden und dafür entsprechende Gesetze erlassen. Er muss sich lösen von dem engen Korsett, das manch eine Verfassung ihm aufzwingt.
Und damit ist der Ruf nach Regulierung nicht nur einer, der ein Spiel eröffnet, in dem einige bessere Karten haben als andere. Es ist auch ein Ruf, der droht das zu untermauern, was wir unter einem Rechtsstaat verstehen, in welchem jeder gleich vor dem Gesetz ist, in dem der Staat nicht diskriminiert und in dem Freiheit des Einzelnen an höchster Stelle steht.