Wissensmanagement: Zwischen Kalkulationsdebatte, implizitem Wissen und KI

von Philipp Szelest

Der Ökonom F.A. Hayek betonte die Zentralität von Wissen in der Ökonomie, während der Wissenschaftstheoretiker Michael Polanyi das Konzept des impliziten Wissens entwickelte. Auch Unternehmen können von ihren Überlegungen profitieren. Denn in Zeiten rasanten technologischen Wandels müssen Unternehmen das in Generationen akkumulierte, oft implizite Wissen bewahren und effektiv nutzen. Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Artikel die Rolle von implizitem und explizitem Wissen sowie Wissensmanagement im Hinblick auf die digitale Transformation in Unternehmen.

Wissen und Wissensaustausch sind zentral für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. F.A. Hayek betonte die Bedeutung des „verstreuten Wissens“, jenes impliziten, oft unbewussten Wissens, das in den Präferenzen, Fähigkeiten und Erfahrungen der Individuen verankert ist. Michael Polanyi führte den Begriff des impliziten Wissens ein und betonte, dass „we can know more than we can tell“. Dieses Konzept unterstreicht die Grenzen der Formalisierung von Wissen.

Das Spannungsfeld zwischen formalisiertem und implizitem Wissen stellt Unternehmen vor eine komplexe Aufgabe: Wie können sie das tief verankerte, schwer fassbare Wissen ihrer Mitarbeiter erfassen und effektiv nutzen? Theorien großer liberaler Denker wie F.A. Hayek und Michael Polanyi bieten eine Unterstützung zum Verständnis der Relevanz von Wissensmanagement in Unternehmen. Diese Einsichten sind besonders relevant, da sie die entscheidende Rolle der Unternehmer als Koordinatoren von Wissen betonen.

Innerhalb von Unternehmen existieren sowohl implizites als auch explizites Wissen. Implizites Wissen zeigt sich in der einzigartigen Art und Weise, wie Aufgaben erfüllt, Probleme gelöst und Innovationen vorangetrieben werden. Es ist tief in den Erfahrungen und Fähigkeiten der Mitarbeiter verankert und oft schwer zu formalisieren. Explizites Wissen hingegen kann dokumentiert, systematisiert und leichter geteilt und kommuniziert werden.

Mit dem Bedeutungsgewinn von KI, Machine Learning und Big-Data-Analytics hat die Nutzung von explizitem Wissen stark zugenommen. Moderne Technologien ermöglichen eine effiziente Analyse und Verbreitung von dokumentiertem Wissen. Dennoch bleibt das implizite Wissen von unschätzbarem Wert. In vielen Unternehmen und Branchen führen Mitarbeiter seit Jahren und Jahrzehnten Projekte und Prozesse durch, wobei ihr Wissen nicht kategorisiert und dokumentiert wurde. Gerade das implizite Wissen ist oftmals entscheidend für den Erfolg und die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens.

Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, dieses implizite Wissen zu identifizieren und zu nutzen. Trotz der technologischen Fortschritte bleibt das implizite Wissen eine essenzielle Ressource, die durch persönliche Interaktionen, Erfahrungslernen und soziales Netzwerk im Unternehmen weitergegeben wird. Die Theorien von Hayek und Polanyi verdeutlichen, dass eine effektive Wissenskoordination nicht nur auf der Nutzung expliziten Wissens basiert, sondern vor allem auf der Wertschätzung und Integration des impliziten Wissens, das in den Köpfen der Mitarbeiter verborgen liegt.

Wissensmanagement und Generationenwechsel

Der Generationenwechsel in Unternehmen, welcher durch die Renteneintrittswelle der Baby-Boomer-Generation unmittelbar bevorsteht, stellt einen kritischen Moment dar. Einerseits ist das Risiko des Wissensverlustes besonders hoch. Andererseits bietet sich eine einzigartige Chance für Erneuerung und Wandel. Im Zentrum anstehender Transformationsprozesse steht das Wissensmanagement, das als Brücke zwischen dem vorhandenen und bereits bewährten Wissen und den innovativen Ansätzen, Methoden und Werkzeugen der neuen Generation fungiert. Die Herausforderung des Wissensmanagements in Unternehmen liegt im effektiven Transfer und in der Transformation von implizitem in explizites Wissen, insbesondere während dieses Generationenwechsels. Ältere Generationen tragen einen Schatz an implizitem Wissen, das durch Erfahrung und langjährige Praxis erworben wurde. Während die Umwandlung von implizitem in explizites Wissen insbesondere bei Generationenwechseln und transformativen Herausforderungen wie Digitalisierung und Dekarbonisierung von großem Vorteil sein kann, bleibt es essenziell, auch die subtilen Nuancen und Kontextinformationen des impliziten Wissens zu bewahren. Eine ausgewogene Strategie, die sowohl formale Dokumentationsprozesse als auch informelle Wissensweitergabemethoden wie Mentoring umfasst, ermöglicht Unternehmen, das volle Potenzial ihres Wissens zu nutzen und sich erfolgreich an neue Herausforderungen anzupassen. In Transformationsprozessen sei es bei der digitalen Transformation oder bei notwendigen Dekarbonisierungen von Unternehmen, spielt das vorhandene Wissen eine zentrale Rolle. Dieses Wissen umfasst nicht nur technische Fähigkeiten und Verfahren, sondern auch tiefes Verständnis für Unternehmenskultur, Kundenbeziehungen und Marktdynamiken. Es bildet das Fundament, auf dem neue Strategien und Technologien entwickelt und implementiert werden können.

F.A. Hayek hat in seinem Aufsatz „The Use of Knowledge in Society“ die dezentrale Natur des Wissens hervorgehoben. Hayek argumentierte, dass Wissen in einer Gesellschaft verstreut und individuell ist und dass die Marktwirtschaft als Mechanismus fungiert, dieses Wissen effizient zu nutzen. Innerhalb von Unternehmen manifestiert sich diese Herausforderung darin, individuelles Wissen der Mitarbeiter zu nutzen und zu koordinieren, ohne es dabei stupide in eine explizite Form zu überführen, wie es mittels KI versucht wird. Unternehmen müssen Strukturen schaffen, die die Nutzung des dezentralen, impliziten Wissens ihrer Mitarbeiter ermöglichen, ohne dieses Wissen vollständig zu zentralisieren oder formalisieren, was oft ineffizient oder unmöglich ist. F.A. Hayeks Überlegungen zum Markt als Koordinationsmechanismus des dezentral vorhandenen Wissens lassen sich aufschlussreich auf die Unternehmensebene übertragen.

Marktdynamik und Wissenskoordination im Unternehmen

Im Folgenden soll diskutiert werden, wie die Wissenskoordination in Unternehmen verbessert werden kann. Ein marktähnliches internes System im Unternehmen würde, analog zum freien Markt, auf den Prinzipien von Angebot und Nachfrage basieren. Mitarbeiter, die über spezifisches Wissen oder Fähigkeiten verfügen, können dieses ‚anbieten‘, während andere Teile des Unternehmens, die dieses Wissen ’nachfragen‘, darauf zugreifen könnten. Die Plattform könnte durch verschiedene Mechanismen wie interne ‚Wissenswährungen‘, Reputationssysteme oder Anreizstrukturen unterstützt werden, um den Austausch und die Verbreitung von Wissen zu fördern.

Die Schaffung eines solchen internen Marktes für Wissen kann die Innovationsfähigkeit des Unternehmens erheblich steigern. Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen und mit verschiedenen Hintergründen könnten ihr Wissen und ihre Perspektiven einbringen, um gemeinsam neue Lösungen und Produkte zu entwickeln. Dies fördert eine Kultur der Zusammenarbeit und Kreativität, die für die nachhaltige Innovation essenziell ist. Insbesondere für ein erfolgreiches Change-Management und die Akzeptanz von Transformationsprozessen ist es essenziell, dass Veränderungen auch aus der Belegschaft hervorgehen und nicht nur ‚von oben‘ diktiert werden.

Durch die aktive Teilnahme am internen Wissensmarkt werden Mitarbeiter ermutigt, ihr Wissen zu artikulieren, zu dokumentieren und zu teilen. Dies erleichtert die Übertragung von Wissen an neue Mitarbeiter und Generationen, sichert wertvolle Unternehmenskenntnisse und bereitet das Unternehmen auf zukünftige Herausforderungen vor.

Innovationen durch Wissensintegration

Die Fähigkeit, implizites Wissen zu explizieren und auf aktuelle Probleme anzuwenden, ist ein Schlüsselfaktor für Geschäftsmodellinnovationen. Unternehmen, die in der Lage sind, aus der Vergangenheit zu lernen und dieses Wissen auf neue Weise zu nutzen, können sich effektiver an den ständigen Wandel anpassen und innovativ bleiben. Dies erfordert ein flexibles Wissensmanagement, das die Freiheit des Einzelnen respektiert und fördert, wie es die liberale Tradition vorsieht. Ein Kulturwandel hin zu mehr Mentoren, Führungsstärke und Unternehmergeist kann das Wissensmanagement in Unternehmen flexibilisieren und verbessern. Mentoren fördern kontinuierliches Lernen und den Austausch von Erfahrungen. Starke Führungskräfte setzen durch ihr Vorbild und gezielte Initiativen einen Standard für den Wissensaustausch. Unternehmerisches Denken wird durch Innovationslabors und Gründerzentren unterstützt, wodurch eine offene Austausch- und Innovationskultur entsteht. Anreizsysteme, wie finanzielle Belohnungen und Anerkennungspreise, fördern zusätzlich die Weitergabe von Wissen, insbesondere die wertvollen Erfahrungen langjähriger Mitarbeiter. Bei der digitalen Transformation geht es um mehr als nur die Einführung neuer Technologien; es geht um eine grundlegende Veränderung der Art und Weise, wie Unternehmen funktionieren, Werte schaffen und zugleich Wissen über viele Abteilungen und Menschen hinweg demokratisieren. Das vorhandene Wissen über interne Prozesse, Kundeninteraktionen und Geschäftsmodelle ist entscheidend, um digitale Lösungen effektiv zu gestalten und zu implementieren. Es hilft Unternehmen, die Technologie nicht nur als Werkzeug, sondern als integralen Bestandteil einer umfassenden strategischen Vision zu begreifen.

Künstliche Intelligenz als Werkzeug des Wissensmanagements

Die Nutzung Künstlicher Intelligenz für das Management von Wissen, Transformationen und Generationenwechseln in Unternehmen bietet vielfältige und innovative Möglichkeiten. KI kann dabei helfen, komplexe Prozesse zu verstehen, zu optimieren und zu automatisieren, und bietet somit einen strategischen Vorteil in einer sich schnell verändernden Geschäftswelt. Die Integration von KI in Wissensmanagementprozesse bietet neue Möglichkeiten, das implizite Wissen zu erfassen, zu analysieren und nutzbar zu machen. KI kann Muster in Daten erkennen, die menschlichen Beobachtern verborgen bleiben, und so neues Licht auf alte Praktiken werfen. Darüber hinaus kann KI helfen, explizites Wissen zu organisieren und zugänglich zu machen, was die Effizienz des Wissenstransfers erhöht.

Jedoch bietet Einsatz von KI im Wissensmanagement von Unternehmen sowohl Chancen als auch Risiken. Die Debatte um die Rolle von Supercomputern in der Wirtschaft, wie sie in den 1920er und 1930er-Jahren zwischen Ludwig von Mises und Oskar Lange geführt wurde, ist heute aktueller denn je, wenn auch unter anderem Namen. Während Lange argumentierte, dass Supercomputer eine hohe Planungseffizienz ermöglichen könnten, betonte von Mises die Bedeutung des menschlichen Urteilsvermögens und der subjektiven Präferenzen, die Maschinen nicht erfassen können. Diese historischen Überlegungen finden in der modernen Diskussion um KI neue Relevanz.

Die Kalkulationsdebatte zwischen von Mises und Lange illustriert die grundlegenden Probleme einer Überbewertung technologischer Lösungen in der Wirtschaft. Von Mises argumentierte, dass zentrale Planungsrechner niemals die dezentralen Entscheidungen und das subjektive Wissen der Individuen ersetzen könnten. Ähnliche Kritik kann auf den heutigen Einsatz von KI angewendet werden:

  • Planungseffizienz vs. Marktprozess: Während KI die Effizienz in der Datenverarbeitung steigern kann, bleibt der Marktprozess, der auf individuellen Entscheidungen und subjektiven Präferenzen basiert, unverzichtbar. KI kann keine Präferenzen erzeugen oder verstehen, die nicht bereits in den Daten vorhanden sind. ‚Irrationales‘ Verhalten von Kundinnen und Kunden kann von der KI nicht erklärt oder prognostiziert werden, da es gegen die Datengrundlagen spricht.
  • Menschliche Vorstellungskraft und Urteilsvermögen: Menschliche Vorstellungskraft und Urteilsvermögen sind entscheidend für Innovation und Anpassungsfähigkeit. KI kann bestehende Muster erkennen, aber keine grundlegend neuen Ideen oder Konzepte entwickeln, da es bislang immer auf Trainingsdaten der Vergangenheit basiert.
  • Ethische und moralische Überlegungen: Entscheidungen, die auf KI-Analysen basieren, müssen immer im Kontext ethischer und moralischer Überlegungen betrachtet werden. KI kann keine moralischen Entscheidungen treffen; diese Verantwortung bleibt beim Menschen.

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