Hochwasserkatastrophe: Bringen zerstörte Städte die Wirtschaft in Schwung?

von Vincent Czyrnik

Katastrophen schaffen Verlierer und Gewinner. Das ist auch der Fall bei der Hochwasserkatastrophe in Deutschland. Manche argumentieren sogar, diese Katastrophe wäre insgesamt gut für die Wirtschaft. So müssen die verwüsteten Dörfer und Städte wieder aufgebaut werden. Zerstörte Städte für das Wirtschaftswachstum? Diese Behauptung ist absurd.

Zu den Verlierern beim jüngsten Hochwasser in Deutschland gehören jene, die Hab und Gut und gar ihre Liebsten verloren haben. Viele haben kein Dach mehr über dem Kopf, ihre Wertgegenstände verloren und müssen einen kompletten Neuanfang wagen. Aber ihnen gegenüber steht auch eine Reihe an Gewinnern: Die Handwerker, deren Geschäfte nun so gut laufen, dass sie und ihre Mitarbeiter gar Überstunden machen müssen; die Baufirma, die neue Aufträge zum Bauen neuer Häuser gewinnt; oder auch der Baumarkt, in dem sich die Häuslebauer nun die Materialien beschaffen. 

Das alles bedeutet mehr Wirtschaftstätigkeit. Die Baufirma muss genau wie der Baumarkt bei ihren Zulieferern Baumaterialien einkaufen. Die explodierende Nachfrage kann nur mithilfe von neuen Arbeitskräften gestillt werden. Auch die Handwerker können sich vor Aufträgen kaum retten: Sie machen Rekordgewinne und suchen schon fast verzweifelt nach neuen Arbeitskräften. Die Folge: Die Löhne steigen, die Wirtschaft boomt und viele gewinnen – zumindest auf lange Sicht. Aber stimmt das?

Dieser Logik zufolge sind Katastrophen gut für die Wirtschaft. Schließlich wären all die Katastrophenhelfer sonst arbeitslos, die Handwerker hätten höchstens halb so viele Aufträge und in den Baumarkt ginge man nur, um das traute Heim ein wenig aufzuhübschen. 

Bereits vor über 150 Jahren erkannte der französische Ökonom Frédéric Bastiat, dass es sich bei dieser Logik – Katastrophen sind gut für die Wirtschaft – um einen Denkfehler handelt. Um diesen Denkfehler zu beleuchten, beschreibt Bastiat die Geschichte eines Jungen, der die Glasscheibe seines Vaters zerbricht: Das Missgeschick ist für den Vater ärgerlich, doch steckt für den naiven Beobachter in dem Unfall etwas Gutes: Der Glaser, welcher mit der Reparatur zerbrochener Fensterscheiben sein Geld verdient, findet dank des Malheurs Arbeit. Auch in diesem Fall könnte man meinen, dass dieses Missgeschick gut für die Wirtschaft sei.

Doch Bastiat zeigt mit einer einfachen Rechnung auf, dass dies nicht zutrifft: Herr Bonhomme, der Vater des Jungen, bezahlt für die zerbrochene Fensterscheibe 6 Francs. Er erhält dafür eine unversehrte Fensterscheibe. Wäre das Unglück nicht passiert, besäße Herr Bonhomme eine unversehrte Fensterscheibe und zusätzlich die 6 Francs. Mit diesem Geld hätte er sich etwas anderes kaufen können, beispielsweise gutes Essen oder Kleidung für die Familie.

Auch bei der aktuellen Hochwasserkatastrophe in Deutschland hätten die Menschen ihr Geld für etwas anderes ausgeben können, als ihre Existenzen mühsam wieder aufzubauen. So hätten sie sich zahlreiche Restaurant-Besuche, ein neues E-Auto oder eine Solaranlage auf dem Dach leisten können. All diese Industrien bekommen nun kein Geld von den Familien. Statt dass die Menschen nun ein Haus mit Solarpanels und einen neuen E-Wagen besitzen, kämpfen sie in den Trümmern um ihr Überleben.

Ausgaben für Solaranlagen und Co. hätten das Wirtschaftswachstum substantiell angekurbelt und nicht nur scheinbar, wie es beim Wiederaufbau der Fall ist. Genau wie im Falle einer Katastrophe hätten Zulieferer von höherer Nachfrage profitiert, und zudem wären mehr Arbeitskräfte eingestellt worden. Und während mit und ohne Katastrophe das Wachstum angekurbelt worden wäre, läge der Wohlstand ohne Katastrophe auf einem höheren Niveau – denn vieles Wertvolle wäre erhalten geblieben. Möglicherweise wäre das Geld jedoch auch gespart worden. Das hieße aber, über Kredite Investitionen anderer zu ermöglichen. Das angesparte Kapital würde somit mehr Wohlstand in der Zukunft erlauben.

Sowohl im Falle des Konsums als auch des Sparens ist die Schlussfolgerung eindeutig: der Wohlstand wäre ohne Katastrophe größer. Doch auch zu anderen Zeiten unterlagen ökonomische Laien – und sogar Experten – dem von Bastiat beschriebenen Denkfehler:

  • Helfen Kriege um die Wirtschaft in Gang zu bringen? Schließlich wird die Rüstungsindustrie hochgefahren und neue Jobs entstehen. In den USA behaupten einige, dass die Great Depression erst durch den Zweiten Weltkrieg überwunden wurde. Auch in Deutschland sei mit dem Dritten Reich und dem damit einhergehenden Aufrüsten die Wirtschaft in Schwung gekommen. Tatsächlich machte der Krieg die Menschen aber ärmer. Auch der Aufschwung kam erst nach dem Ende des Krieges.
  • In Deutschland mussten nach dem zweiten Weltkrieg Infrastruktur und Städte wieder aufgebaut werden. Auch das schuf neue Jobs. Man könnte gar meinen, das zweistellige Wirtschaftswachstum in Deutschland, Österreich oder Frankreich ab den 1950er Jahren wurde erst durch die verwüsteten Städte ermöglicht. Doch es wäre es besser gewesen, die Städte wären nicht zerstört wurden und die Länder hätten mit neuen Innovationen ein Wirtschaftswunder von einem höheren Wohlstandsniveau aus erlebt.
  • Der Anschlag vom 11. September hätte durchaus auch positive, expansive Nachwirkungen für die Wirtschaft gehabt, so der Nobelpreisträger Paul Krugman. Mehr Bürogebäude sowie ein zwingender Grund für expansive Fiskalpolitik seien entscheidend. Doch auch hier wird übersehen, dass einerseits Wohlstand zerstört und andererseits das Geld für Bürogebäude und Fiskalpakete auch sonst genutzt worden wäre.
  • Wieder Krugman: Auch wenn die Reaktorkatastrophe von Fukushima ein schlimmes Ereignis war, so könne sie doch, zumindest für die Welt als Ganzes, wirtschaftlich positive Effekte zeitigen und Wachstumsmöglichkeiten bieten. Vergessen wird hier wieder, wie viel Wohlstand zerstört wurde und dass es alternative Verwendungen für die Ausgaben gegeben hätte.

All diese Geschichten weisen ein wiederkehrendes Muster auf: Durch die Katastrophen steigt in einigen Industrien die Wirtschaftstätigkeit. Richtigerweise erkennen Beobachter genau das. Darin liegt nicht der Denkfehler. Der Denkfehler entsteht dadurch, dass bereits jetzt ein abschließendes Urteil gefällt wird: Die Wirtschaftstätigkeit steigt in einigen Industrien, folglich muss die Katastrophe in irgendeiner Weise gut für die Wirtschaft sein. In dieses Urteil fließt aber nur das Offensichtliche ein.

Die unaufmerksamen Beobachter übersehen aber die anderen Effekte: Erstens wurde bei all den Katastrophen Wert vernichtet. Bei der Hochwasserkatastrophe waren es die überschwemmten Häuser und Straßen; im Krieg lagen die Städte in Schutt und Asche. Und zweitens wäre die Wirtschaftstätigkeit auch ohne die Katastrophen, wenn auch wohl in anderen Richtungen, gestiegen.

Frédéric Bastiat sprach in diesem Zusammenhang von Ce qu’on voit et ce qu’on ne voit pas – zu Deutsch: Was man sieht und was man nicht sieht. Viel zu häufig werden Urteile gefällt, ohne das Dahinterliegende in Betracht zu ziehen.

Um solche Fehlschlüsse zu vermeiden, sollten ökonomische Grundlagen auf jedem Lehrplan stehen. Absurderweise könnten Politiker ja sonst zu dem Schluss kommen, dass sie Katastrophen – oder zumindest kleine Krisen – herbeiführen sollten, um die Wirtschaft florieren zu lassen. Zum Glück braucht Wirtschaftswachstum aber keine Katastrophen.

Vincent Czyrnik hat diesen Artikel gemeinsam mit Max Molden verfasst.

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