Das Abitur spielt eine große Rolle im Leben junger Menschen. Aber zum Zeitpunkt der Prüfungen sind die Abiturienten nicht gleich alt. Dieser Einfluss auf Zukunftschancen ist nicht gerecht.
Vor einigen Wochen sind viele junge Menschen ins Studium gestartet. Ob sie dabei ihren Wunschstudiengang belegen konnten, hing in vielen Fällen von ihrem Numerus Clausus ab. Wer Medizin oder vielleicht Jura studieren will, der braucht einen 1,0er-Schnitt im Abi. Ohne diesen müssen viele Wartesemester abgesessen werden – es sei denn, die Eltern haben das nötige Kleingeld, um das Medizinstudium im Ausland zu finanzieren.
Auch wenn der Nutzen eines Studiums überschätzt sein mag: der Notenschnitt, mit dem man nach 12 oder 13 Jahren von der Schule abgeht und ins Leben tritt, hat zunächst einmal großen Einfluss darauf, welche Optionen einem offenstehen.
Und das erscheint ja auch fair: wer sich in der Schule angestrengt hat und/oder intelligenter ist, sollte auch, was das Studium anbelangt, die größeren Möglichkeiten haben. Hat es doch offenkundig mehr Sinn, wenn gute Schüler Ärzte werden. Und Leistung sollte ja per se belohnt werden.
Schlechte Schüler, große Denker
Aber hier fangen die Probleme bereits an: Gut in der Schule zu sein garantiert nicht, dass man ein guter Anwalt oder Arzt wird. Noch wichtiger vielleicht: schlecht in der Schule zu sein schließt nicht aus, dass man sich zukünftig in ungeahnte intellektuelle Höhen aufschwingen wird. Als Beispiel mögen Karl Popper und Friedrich von Hayek dienen. Popper musste bei seiner Matura einen zweiten Anlauf nehmen – im ersten Versuch scheiterte er unter anderem am Fach Logik. Einige Jahre später erschien dann seine Logik der Forschung, mit der er als Wissenschaftstheoretiker zu Weltruhm gelangte. Hayek wiederum musste seine Schule aufgrund mangelnder Leistungen wechseln – diese und weitere Episoden seines Lebens werden in Caldwell und Klausingers Hayek-Biographie schön beschrieben. Nichtsdestotrotz gilt Hayek heute als einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts.
Während der große Einfluss der Abiturleistung auf das zukünftige Leben schon aus Nützlichkeitserwägungen heraus nicht unbedingt wünschenswert zu sein scheint, tut sich aber vor allem ein riesengroßes Fairness-Problem auf.
Gleicher Zeitpunkt fürs Abi, ungleiches Alter
Das Abitur als Leistungsfeststellung ist an einen Stichtag gebunden. Alle Schüler eines Jahrgangs schreiben ihr Abitur im gleichen Zeitraum von ein paar Wochen. Nur sind sie dabei nicht gleich alt. Und das ist hochgradig unfair – zumal dieses Abi ja so großen Einfluss auf das zukünftige Leben hat!
Die Bedeutung von Altersunterschieden ist allseits anerkannt. Aus diesem Grund spielen 14-jährige nicht gegen 16-jährige Fußball. Aus diesem Grund gibt es in den Schulen Klassen, in die die verschiedenen Jahrgänge eingeteilt sind. Die Bedeutung von Altersunterschieden ist aber auch innerhalb dieser Kohorten groß.
Dieser Relative-Age-Effect fiel zuerst einem kanadischen Forscherpaar auf, welches sich ein Spiel einer kanadischen Eishockey-U-Nationalmannschaft ansah. Paula und Roger Barnsley bemerkten bei der Lektüre des Mannschaftsheftchens, dass die meisten Auswahl-Spieler im ersten Quartal geboren worden waren. Spieler der Geburtsmonate November und Dezember waren hingegen Mangelware. Das ergab Sinn, war der 1. Januar eines Jahres doch der Stichtag für die Bestimmung der Jahrgänge. Im Extremfall kann also fast ein vollständiges Jahr zwischen zwei Spielern liegen. Und das macht natürlich körperlich und auch geistig einen großen Unterschied. Umso mehr, da der ältere Spieler ja auch entsprechend mehr Trainingseinheiten absolvieren konnte.
Was heißt das nun für die Schule? Auch hier kann im Extremfall bis zu ein Jahr zwischen den Schülern liegen, wenn sie ihr Abitur schreiben – wobei dies im Fall der Doppeljahrgänge gar zwei Jahre waren. Natürlich hat das einen großen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Schüler. Der Umstand, dass unser Gehirn wohl erst mit ca. Mitte 20 ausgewachsen ist, verdeutlicht das.
Altersgewichtigung als möglicher Lösungsansatz
Das Problem liegt dabei nicht so sehr in dem Umstand, dass die Schüler zum gleichen Zeitpunkt ihr Abitur schreiben. Das scheint praktisch unumgänglich. Das Problem ist vielmehr, dass das Abitur einen so großen Einfluss auf das Leben der Einzelnen nimmt. Wie kann man rechtfertigen, dass die eine den Studienplatz in Medizin bekommt, und die andere nicht – nur weil die eine knapp 19 Jahre alt war, als sie ihr Abi schrieb, und die andere zum Zeitpunkt des Abiturs gerade erst 18 wurde? Angesichts der begrenzten Studien- und Ausbildungsplätze lässt sich der Einfluss des Abis auf das Leben aber ebenso kaum eingrenzen.
Ein alternativer Ansatz könnte daher zum Abi selbst zurückgehen. Wie einige Forscher vorschlagen, könnte man versuchen, die Abiturleistung mit dem Alter zu indexieren. Sprich, die Punktezahl beim Abitur wird mit einem Altersquotienten verrechnet, um eine fairere Note zu erhalten. Mit dieser altersgewichteten Note können die Schülerinnen und Schüler dann den Schritt ins Leben wagen. Fairer wäre das allemal.