Plagiate, Ghostwriter & Künstliche Intelligenz: Ist die akademische Welt noch zu retten?

von André Piepenburg

Die Künstliche Intelligenz (KI) macht auch vor den Hochschulen nicht halt und zwingt Studierende wie Lehrende zum Umdenken. Während sich die Studierenden über eine massive Erleichterung beim Schreiben wissenschaftlicher Texte freuen, sorgen sich die Lehrenden um die Sinnhaftigkeit schriflicher Prüfungsleistungen. Hat die Abschlussarbeit ausgedient?

Nicht erst seit Karl Theodor zu Gutenberg gibt es Zweifel bezüglich der Urheberschaft von Abschlussarbeiten oder Dissertationen einzelner Politiker. Schon in den wilden 80ern nahm Achim Schwarze, ein ehemaliger Ghostwriter für die Elite des Landes, diese Thematik humorvoll unter die Lupe. Er wusste aus erster Hand, dass es nahezu unmöglich ist, die Urheberschaft eines Textes anzuzweifeln, solange der Verfasser nicht äußerst fahrlässig agierte. Ob ein Ghostwriter die Abschlussarbeit oder Dissertation für Politiker geschrieben hat, konnte letztlich nie bewiesen werden. Jedes Mal, wenn ein Titel aberkannt wurde, waren Plagiate oder Verstöße gegen andere formale Vorgaben ausschlaggebend. Wenn also ein Ghostwriter bei einem der jüngsten Skandale involviert war, dann war er kein Guter! Aber wer braucht heute noch einen professionellen Ghostwriter, wenn die KI mittlerweile sogar die Anwaltsprüfung besteht und auch die Zulassung als Arzt denkbar ist? Studierende müssen sich scheinbar nicht mehr wegen der Bachelorarbeit oder Masterarbeit sorgen. KI-Chatbots sind die vermeintlich einfache Lösung für Studierende mit Schreibblockaden. Warum also nicht entspannt zurücklehnen und der KI vertrauen?

Dass das nicht die beste Idee ist, habe ich schnell nach einigen Selbstversuchen gemerkt. Hätte ich beispielsweise darauf vertraut, dass mit der Bezeichnung „Babylon Berlin“ die Figur „Mieze“ aus Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ gemeint ist, hätte sich meine Dozentin vermutlich schlapp gelacht. Die ausgewiesenen Quellen entsprangen zur Hälfte der KI-Fantasie und waren nie verfasst worden. Von einer inhaltlichen Prüfung der verbliebenen Referenzen habe ich desillusioniert abgesehen. Aber es kam noch schlimmer! Denn die KI macht sogar Fehler bei einfachsten Additionsaufgaben! So sollte die KI die Anzahl aller Flugzeugträger von NATO-Staaten nennen, nachdem sie zuvor eine Liste erstellt und nach Ländern sortiert hatte. Hierfür hätte die KI nur die genannten Flugzeugträger zusammenzählen müssen, aber scheiterte bei dem Versuch kläglich. Als ich die KI darauf hinwies, dass zwei Flugzeugträger vergessen wurden, entschuldigte sie sich zumindest höflichst.

Die KI vermag keine vollständigen Arbeiten auf Knopfdruck zu erstellen, aber sie liefert durchaus verwendbare Textbausteine, die mit erheblichem Aufwand zusammengesetzt werden müssen. Doch oft lässt sich die Herkunft der Gedanken nicht belegen, was aus wissenschaftlicher Sicht einem Plagiat gleichkommt – keine Aussage ohne Beleg! Irgendwoher muss der Gedanke stammen, denn Studierende forschen in der Regel nicht selbst, sodass sie auch keine neuen Erkenntnisse hervorbringen können. Die nachträgliche Rekonstruktion fehlender Quellen kann schnell zu der buchstäblichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen werden. Von einer Zeitersparnis ist dann keine Rede mehr, zumal die Qualität der Texte nur selten dem akademischen Standard entspricht. Trotz dieser Mängel nutze ich die KI egelmäßig für Recherchen, bin mir aber bewusst, dass ich die Antworten immer hinterfragen muss.

Wenn Studierende KI-generierte Inhalte kritisch prüfen und alle Aussagen belegen, wie kann dann ein Dozent herausfinden, ob die Arbeit wirklich von einem Menschen oder von der KI verfasst wurde? Da die KI immer neue Texte erzeugt, können diese nicht durch eine computergestützte Plagiatsprüfung identifiziert werden. Sind die Aussagen mit relevanten Referenzen belegt, wird auch der menschliche Prüfer keinen Verdacht schöpfen. Er kann lediglich jeden Text von einer KI-Spezialsoftware überprüfen lassen, die im Praxistest oft an ihre Grenzen stößt. Sie arbeitet wie die KI selbst mit einem stochastischen Modell und soll damit verdächtige Passagen identifizieren. Bei der Prüfung wurden aber wiederholt Sätze markiert, die ich nachweislich selbst verfasst habe. Bei einer so hohen Fehlerquote wird niemand des Betrugs überführt, da es keine Beweise, sondern nur Vermutungen gibt.

Hochschulen müssen daher überdenken, wie sie mit der veränderten Situation umgehen, wenn die Abschlussarbeit als schriftliche Prüfungsleistung weiterbestehen soll. Haus- oder Abschlussarbeiten dürfen nicht mehr als reine Literaturarbeit eingereicht werden. Denn diese sind fast ausschließlich deskriptiv und kommen zu großen Teilen ohne Eigenleistung aus. Stattdessen sind problem- und anwendungsorientierte Aufgaben gefragt. Die wissenschaftlichen Texte der KI können nur durchschnittlich sein, denn sie basieren auf der Wiedergabe von Informationen, die Millionen von Nutzer eingegeben haben. Die KI wird niemals einen innovativen Forschungsprozess abbilden, sondern nur den Standardweg sowie einige Alternativen empfehlen. Die KI mag zwar keine empirischen Daten erheben können, aber kann dafür bei der Auswertung hilfreich sein. Die Menschheit hat immer neue Instrumente eingeführt, um das Rechnen zu lereichtern. Der Mathe-Unterricht endete auch nicht, als in der Oberstufe der grafikfähige Taschenrechner eingeführt wurde. Stattdessen liegt der Fokus auf komplexeren Aufgabenstellungen und der Interpretation der Ergebnisse. Da die KI mittlerweile auch komplexere Datenauswertungen wie Regressionen oder t-Tests durchführen kann, eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten für Forschende mit begrenzten Kenntnissen der statistischen Datenanalyse.

Die Unis sollten die neue Technologie begrüßen und auch als klare Chance begreifen. Es ist bedauerlich, wie viel Potenzial jedes Jahr vergeudet wird, wenn Hunderttausende triviale Bachelor- und Masterarbeiten abgegeben werden und in Vergessenheit geraten. Lehrende sollten die Studierenden viel stärker in die eigene Forschung einbinden und die KI sinnvoll einsetzen, anstatt sie zu verdammen. So kann die KI beispielsweise beim Thema finden helfen, einen Titel und eine Fragestellung vorschlagen oder eine Gliederung entwerfen. Diese Entwürfe können gemeinsam mit dem Dozenten weiterentwickelt werden. Eine gute Betreuung wird somit immer wichtiger, damit Lehrende gemeinsam mit ihren Studierenden bahnbrechenden Erkenntnissen gewinnen können. Lehrende müssen hierfür ihre Rolle als Lernbegleiter annehmen und Hochschulen dafür sorgen, dass Lehrende und Studierende auch über die notwendigen Software-Zugänge verfügen. Die Studierenden sollten sich bewusst sein, dass die KI ein Segen für die Menschheit ist, aber nicht dazu führt, dass sie ihren Abschluss geschenkt bekommen. Ganz im Gegenteil, sie sind gefordert, um ihre Studienzeit bestmöglich zum Wohle der Menschheit zu nutzen.

Related Articles

1 Kommentare

Jana 12. September 2023 - 14:25

Eigentlich ein inhaltlich treffender und auch gut geschriebener Beitrag, aber muss das sein mit diesem Gegendere: „Lehrende“, „Studierende“? Ist doch albern!

Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

© 2024 – Der Freydenker | All rights reserved

Facebook Twitter Instagram