Vorsicht: Demokratie!

von Max Remke

Über ein Liberales Missverständnis mit weitreichenden Folgen.

„Partizipation“, „Teilhabe“, „Verstehen“, „Gemeinsam“, „Vielfalt“ – glaubt man den Phrasen der 100 Millionen Euro teuren staatlichen Akademiker-Arbeitsbeschaffung namens „Demokratie leben!“ ist die Demokratie eine irre Sache. Quasi aus dem Nichts erschafft sie, solange man es nur oft genug probiert (und alle „Demokratiefeinde“ mit ihrem „Hass“ aussortiert), eine sozial harmonische Gesellschaft aller Bürger. Auch die „linksliberale“ Presse fällt in den Freudentaumel der verbalen „Miteinander“-Pampe ein, will „Gespräche fördern“ und „Begegnungsräume schaffen“.

Dass linke Gruppen den Staatsapparat und den Kultur- und Medienbetrieb nutzen, um kollektivistische Phantasien auszuleben, ist wenig überraschend. Denn nichts anderes steckt hinter all den Rufen nach „Einbindung“ und „Beteiligung“ als eine Gesellschaft, in der nicht das Individuum Gestalter ist, sondern das Kollektiv verkörpert durch den Staat. Schlimm aber wird es, wenn vorgeblich liberale Menschen den Freiheitsfeinden auf den Leim gehen und anfangen selbst nach „mehr Demokratie“ und „Partizipation“ zu rufen.

Wer Liberalismus ernst nimmt weiß, dass dieser für klare Werte steht: Freiheit, Eigenverantwortung, Selbstbestimmung. Kurzum: Für Individualrechte, die der Einzelne hat und eben nicht die Gemeinschaft über den Einzelnen. Das bedeutet, auch die angebliche “Teilhabe” bzw. die so genannten „positive Freiheiten“ als das zu enttarnen, was sie sind: Unfreiheiten. Ein Recht auf Wohnen ist nur möglich, wenn dafür dem Mitbürger etwas weggenommen wird. Entweder der Wohnraum direkt, auf den der “Mitbürger” ein Anrecht hat, oder via Steuern das nötige Geld für diesen Wohnraum. Jede „positive Freiheit“ ist somit stets die Pflicht des anderen, erfrodert immer staatlichen Zwang..

Anders als individuelle Freiheitsrechte ist Demokratie kein Wert des Liberalismus. In unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist nicht das „Demokratische“ der liberale Wert, sondern ausschließlich das „Freiheitliche“, also die unveräußerlichen Grundrechte des Einzelnen. Jene Grundrechte die vor Intoleranz, Gier, Neid, Missgunst usw. der anderen, des “Demos” geschützt werden. 

Der aufrichtige Liberale ist folglich ein überzeugter Antidemokrat, genauso wie er auch ein Antiautokrat ist. Er ist insgesamt ein Antikrat, ein Gegner der Herrschaft von Menschen über ihre Mitmenschen. Die Demokratie kann er nur soweit befürworten, wie sie dazu beiträgt die Freiheitsrechte zu erhalten. Die Demokratie ist ihm damit ein Mittel zu einem Zweck, nämlich dem der individuellen Freiheit. Ein Mehr an “Partizipation”, an “Teilhabe”, an “Miteinander” kurz an staatlichem Zwangssystem über dieses Maß hinaus ist daher für den Liberalen schädlich, ja sogar böse. Diese Position mag kontrovers erscheinen, ist aber wenigstens ehrlich. Vermutlich ist sie gerade deshalb kontrovers, weil sie ehrlich ist. 

Heuchlerisch hingegen ist die Position jener Kollektivisten, die mit diesen Begriffen hantieren. Denn auch die Kollektivisten meinen diese nicht ernst, meinen nicht wirklich die “Partizipation” aller. Fragen Sie irgendeinen Antifa-Affinen, ob er gerne mehr “Teilhabe” von Nazis am Diskurs hätte, ein stärkeres “Einbringen” von AfD-Anhängern in “unsere gemeinsame Demokratie”. Fragen sie einen Grünen, ob er sich nicht mehr “Miteinander” und “Teilhabe” der Diesellobby wünschen würde. Fragen Sie eine feministische Gender-Studentin, ob sie “gemeinsam” mit einem evangelikalen Abtreibungsgegner “Demokratie leben” möchte. Sicherlich nicht, denn die Wahrheit ist: Niemand mit klaren politischen Werten liebt die Demokratie. Am Ende bedeutet Demokratie nämlich immer einen Abstrich an den eigenen Idealen, weil andere dazwischenfunken und Kompromisse einfordern. 

Ehrlich für „Zuhören“, „Partizipation“, “Beteiligung” und all die anderen kollektivistischen Phrasen kann sich nur begeistern, wer selbst keine klaren Ideale hat – vorrausgesetzt man versteht Gruppendenken nicht als Selbstzweck. Man nennt diese Menschen auch (fälschlich mit positiver Konnotation) die politische Mitte. Leute, die je nachdem was in der Zeitung steht mal dem einen, mal dem anderen Wert Priorität einräumen. Reden alle über die Wirtschaft, dann ist Freiheit wichtiger als Ökologie, reden alle über das Klima, dann ist plötzlich die Ökologie wieder wichtiger als die Freiheit. Diese im Wesentlichen von Idealen unbefangene Mitte, bildet zugleich das Gros jener, die sich eben nicht politisch engagieren. Woher soll auch der Antrieb für solches Engagement kommen, wenn man keine klare Präferenz hat?

Glauben Sie das nicht? Nennen Sie mir die letzte Massendemo unter dem Motto „Die Mieten sind zu hoch und sozial ungerecht, aber die berechtigten Interessen der Vermieter müssen ebenfalls abgewogen werden“ oder die letzte Petition mit einem Titel wie: „Der Tod der Wälder muss aufhören, aber auch die angemessene Erschließung von Neulandflächen für den Bau und intensive landwirtschaftliche Nutzung müssen demgegenüber berücksichtigt werden.“ Das wären abgewogene politische Initiativen der Mitte. Sie berücksichtigen ganz demokratisch alle Interessen. Nur: Sie existieren nicht. 

Demonstrationen und Petitionen heißen „Gemeinsam gegen Mietwahnsinn“ oder „Rettet unsere Bienen!“, weil jemand, der erst einmal „alle Seiten versteht“ und “alle betroffenen beteiligt” (also alle Werte als legitim ansieht), üblicherweise erschreckend indifferent wird und danach auf die Idee kommt, irgendwelche „Experten“ seien zur ungemein komplexen Problemlösung zu berufen. Ein Muster, in das die FDP, ja der gesamte deutsche Liberalismus immer wieder aufs neue fällt. Ein Muster, das erwächst aus der Verwechslung von Grundfreiheiten und Demokratie, von freiheitlichen Werten wie “Eigenverantwortung” mit kollektivistischen Werten wie “Teilhabe”. 

Der Schaden, den der Liberalismus aus dieser unreflektierten Verwechslung zieht, oder noch schlimmer, aus der bequemen Anpassung an den “Demokratie”-Mainstream, ist immens. Er beginnt gegen seine eigenen Werte zu arbeiten. Er verliert Anhänger, da er sein Alleinstellungsmerkmal Freiheit aufgibt. Er verliert Mobilisierungskraft, weil Kompromisse nunmal nicht mobilisieren. Er verliert das Gefühl für die Zweischneidigkeit der Demokratie zwischen notwendigem und daher unterstützenswerten Übel und Mehrheitstyrannei. Am Ende glaubt er noch selber, er sei die “demokratische Mitte” und ergeht sich in der eigenen Wertlosigkeit. Wären Liberale mutig, sie müssten gegen den kollektivistischen Phrasentornado anschreien. Sie müssten laut fordern: Weniger Demokratie wagen! Aber wie mutig sind schon Liberale?

Dieser Artikel erschien zuerst im Print-Magazin. Er spiegelt die Meinung des Autors, nicht notwendigerweise jene der Organisation wider. Dieser Blog bietet die Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Du möchtest auch einen Artikel beisteuern? Schreib uns einfach eine Mail: redaktion@derfreydenker.de!

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1 Kommentare

Thomas Leske 7. Februar 2022 - 21:22

Unter Demokratie verstehen die meisten Bürger mehr als die bloße Herrschaft der Mehrheit. Die Herrschaft muss rechtsstaatlich beschränkt sein, damit die Opposition ohne Angst die Mehrheitsposition in Frage stellen kann. Meiner Meinung nach sind manche Aspekte der Demokratie problematisch und manche ein Segen.

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