Die Unmöglichkeit „sozialer Gerechtigkeit“

von Kai Weiß

Am 20. Februar war Social Justice Day, ausgerufen von der UN, doch wenn man dem Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich A. von Hayek bei der Show Firing Line zuhört, kommen doch erhebliche Zweifel an diesem Konzept auf.

„Soziale Gerechtigkeit“ wird heute für alle möglichen Zwecke verwendet, zumeist um eine sozialdemokratische – gar kollektivistische – Agenda zu verfolgen. Wenn man gegen den Mindestlohn ist, ist man gegen die „soziale Gerechtigkeit“. Wenn man gegen Umverteilung von Reich zu Arm ist, ist man gegen die „soziale Gerechtigkeit“. Währenddessen wird sich für alle möglichen Ideen eingesetzt, indem man schlicht auf diesen mystischen Begriff verweist. Wie Hayek argumentiert weiß niemand so recht, was „soziale Gerechtigkeit“ überhaupt ist:

Jeder spricht über soziale Gerechtigkeit, aber wenn ich die Leute darum bitte mir zu erklären, was soziale Gerechtigkeit überhaupt bedeutet, weiß es niemand. Ich sage das, weil ich es über die letzten zwanzig Jahre erfolglos versucht habe, eine Antwort zu bekommen, was überhaupt die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit sind.

Tatsächlich ist soziale Gerechtigkeit eine Unmöglichkeit:

Es gibt keine Möglichkeit Regeln einer gerechten Verteilung in einem System aufzustellen, wo die Verteilung nicht das Ergebnis von Menschen ist, die sie selbst hervorbringen. Gerechtigkeit ist ein Attribut individueller Handlung. Ich kann gerecht oder ungerecht meinen Mitmenschen gegenüber sein. Aber das Konzept einer sozialen Gerechtigkeit, von einem unpersönlichen Prozess den niemand kontrollieren kann zu erwarten, ein gerechtes Resultat hervorzubringen, ist nicht nur ein bedeutungsloses Konzept, es ist vollkommen unmöglich.

Allerdings ist nicht nur der Begriff „Gerechtigkeit“ mit Problemen behaftet – „sozial“ ist es ebenfalls. Was heißt es überhaupt, „sozial“ zu sein? Hayek:

Ist die Tatsache, dass es die Menschen von Oklahoma und die Menschen von New York als vorteilhaft ansehen, ein gemeinsames System von Gesetzen und Regeln zu haben, eine Rechtfertigung dafür, dass die Menschen von Oklahoma von den Menschen New Yorks verlangen dürfen, aus der eigenen Tasche die Menschen von Oklahoma auszuhelfen?

Die Frage ist mehr als angebracht, ob jemand gerecht handeln kann, indem er das Geld von anderen Menschen verwendet. Wie Roche argumentiert:

Es ist schön von Dir, wenn Du Dich dazu entscheidest, wohltätig zu sein. Es ist nicht schön von Dir, mit meinen Ressourcen wohltätig zu sein. Tatsächlich ist keine Wohltat damit verbunden.

Natürlich stecken hinter den Forderungen „sozialer Gerechtigkeit“ meistens andere, tieferliegende Gründe – vor allem persönliches Eigeninteresse oder ideologischer Egalitarismus. Die meisten Sozialdemokraten, die sich für „soziale Gerechtigkeit“ und eine Umverteilung von Reich zu Arm einsetzen, tun es aus Eigeninteresse. Arbeiter, Aktivisten und Politiker fordern das Geld von anderen um ihr eigenes oder das Leben anderer zu verbessern – dabei schwingt oft genug einfacher Neid und Groll über den Erfolg anderer mit. Im Fall von Politikern kann es auch einfach nur ein Instrument sein, um Wählerstimmen mit einfachen – kann man schon sagen „populistischen“? – Lösungen zu gewinnen.

Noch schlimmer sind jedoch die echten und gläubigen Egalitären, die sich als ihr einziges Ziel gesetzt haben, dass alle Menschen vollkommen gleich sein sollen. Dass dies vollkommen irrtümlich ist, ist für Hayek klar:

Normalerweise wird vom Staat gefordert, dass er alle Menschen gleich behandeln soll – trotz der Tatsache, dass sie sehr ungleich sind. Man kann aber von dieser Regel nicht ableiten, dass nur weil Menschen ungleich sind, man sie ungleich behandeln sollte, um sie gleich zu machen. Und das ist was soziale Gerechtigkeit fordert – die Forderung, dass der Staat Menschen unterschiedlich behandeln sollte um sie alle in dieselbe Position zu bringen. Die Regel gleicher Behandlung gilt nur in den Bereichen, die der Staat selber organisiert. Aber Menschen gleich zu machen als politisches Ziel würde die Regierung dazu zwingen, die Menschen wirklich sehr ungleich zu behandeln.

Nirgends wird dies deutlicher als im heutigen Klima der Identitätspolitik, wo Aktivisten – im englischen Raum oft mit „Social Justice Warriors“ umschrieben – jeden sanktionieren, der Menschen unterschiedlich behandelt, wodurch die „Beschützer“ von Minderheiten versehentlich die Unterschiede zwischen Menschen noch weiter hervorheben. Das Ziel kompletter Gleichheit hat im zwanzigsten Jahrhundert wieder und wieder in Leid und Tyrannei – das heißt, radikal ungleichem Autoritarismus – gemündet, wie der polnische Anti-Kommunismus-Kämpfer Ryszard Legutko erklärt:

Der Kommunismus war soziale Gerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit war Kommunismus. Diese Vereinigung zwischen dem System und dem Ideal gebar eine ganz eigentümliche Art von Mentalität, anfällig für politisches Moralisieren. In so einem System konnte man nicht einfach nur Tatsachen beschreiben oder seine politische Überzeugung äußern, weil alles in der Phraseologie des Guten der Menschheit, der Befreiung der Menschen, der Verdorbenheit von Imperialismus, dem Segen einer klassenlosen Gesellschaft und dem Glück des Lebens unter Sozialismus verwickelt werden musste. Von Anfang an wurde der Sozialismus/Kommunismus in moralistischem Termini sanktioniert ohne den das System nicht verwirklicht hätte werden können; jeder Kommunist und jeder Sozialist, auch wenn zynisch oder grausam, war verpflichtet in jeder kleinsten Kleinigkeit kommunistische und sozialistische Ideale reflektiert zu sehen – und niemand konnte den einfachsten Gedanken äußern ohne auf jene Ideale hinzuweisen.

Die einzige Form von sozialer Gerechtigkeit, die währenddessen akzeptabel ist – allerdings nicht mehr soziale Gerechtigkeit wie normalerweise verstanden – ist die Freiheit, die eigene Situation zu verbessern. Wie Daniel Hannan sagt, ist „Freihandel das oberste Instrument für soziale Gerechtigkeit“. Nicht Gleichheit von Ergebnis, sondern Gleichheit vor dem Gesetz, sollte das Mantra von Gerechtigkeit sein – und Gleichheit in Chancen und Möglichkeiten, soweit freiwillig möglich.

Für den Staat lässt das natürlich eine äußerst schmale Sphäre, wo er aktiv werden kann. Die Aufgabe des Staates ist es dann nur, den Rahmen zu setzen für Individuen, die, in einer starken und florierenden Zivilgesellschaft lebend, die Freiheit haben, alles zu erreichen, wovon sie träumen. Das Ziel einer Regierung sollte es sein, wie Hayek in The Mirage of Social Justice schreibt, die Gegebenheiten zu schaffen, wo sich eine spontane Ordnung entwickeln kann. Douglas Den Uyl meint,

Eine freie Gesellschaft nimmt notwendigerweise an, dass manche mehr profitieren werden als andere, schon allein deshalb, weil sich die Umstände ständig verändern. Dieser Zustand kann nur hin zu einer totalitären Gesellschaft geändert werden.

Mit Egalitarismus auf dem Vormarsch überall in der westlichen Welt, von den „Social Justice Warriors“ auf dem amerikanischen College-Campus, zu Politiker im linken politischen Spektrum und hin zu einer politischen Elite in Brüssel, die von europäischer Gleichmacherei träumt, ist diese Warnung heute so relevant wie selten zuvor.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in unserem Vorgängermagazin Peace, Love, Liberty. Auf Englisch wurde er veröffentlicht bei The Conservative Online.

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