Wo Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht – aber was ist Recht?

von Max Molden

Demonstrationen und Proteste sind Vehikel, um Wandel herbeizuführen. Wer auf die Straße geht, der möchte etwas verändern. Ganz gleich ob französische Revolutionäre in 1789, Martin Luther King und die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung in den 1950ern und 1960ern oder, ob es einem gefällt oder nicht, die Querdenker dieser Tage in Stuttgart, Berlin oder Leipzig. Die Frage ist bloß, ob der geforderte Wandel das Recht stärkt oder Unrecht befeuert.

Wo Recht Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht – das soll unter anderem Bertolt Brecht gesagt haben. Es ist ein Zitat, das viele grundlegende Ideen einfängt. So beinhaltet es die Überzeugung, dass es Recht, aber auch Unrecht gibt – die Ablehnung eines Relativismus oder vielleicht Nihilismus. Menschen können Gutes, aber auch Böses tun. Und wir können unterscheiden und erkennen, was recht und billig ist und was nicht. In dem Zitat steckt aber auch, dass die Bürger eine Pflicht haben. Sie sind dem Recht verpflichtet. Wenn es dem Unrecht weicht, dann haben sie Widerstand zu leisten, für Wandel zu kämpfen.

Die Idee eines Rechts auf Widerstand ist enthalten im deutschen Grundgesetz. Man findet sie aber auch in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wo dem Volke das Recht zugesprochen wird, eine Regierung, die ihre Rechte missachtet, durch eine neue zu ersetzen.

Das Recht auf Widerstand und Veränderung, wenn Unrecht herrscht, entspricht der Kernidee des modernen Staates: er ist ein Staat der Bürger für die Bürger. Wieso sollten die Bürger dann nicht das Recht besitzen, eben jenen Staat abzusägen, wenn er ihnen nicht mehr gefällt?

Aber es heißt vorsichtig sein: Recht und Unrecht unterscheiden sich nicht danach, ob das Gros der Bevölkerung eine Regierung unterstützt. Recht hat eine substantielle Komponente; es umfasst bestimmte „Wahrheiten“ oder zumindest Werte. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt es daher:

„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.”

Im deutschen Grundgesetz ist, in eine ähnliche Richtung gehend, die Rede von der Ewigkeitsklausel, die konkrete Grundrechte sowie Staatsform schützt. Die Quintessenz bzw. das Relevante ist der Inhalt. Recht ist nicht willkürlich. Bestimmte Werte bilden das Recht – und genau diese sind schützenswert. Keine anderen!

Bevor Widerstand gegen das Unrecht geleistet werden kann, muss Klarheit herrschen über den Inhalt des Rechts. Das Problem ist aber, dass man auch vor „Wahrheiten“ (wenn es sie denn gibt) seine Augen verschließen kann – und selbst wenn man dies nicht tut, ist nicht gesichert, dass man einfach so zu ihnen gelangt.

Einer Pflicht zum Widerstand muss also vorangehen eine Pflicht, sich seinem Gewissen folgend verantwortungsvoll und mit Hingabe auf die Suche nach den „self-evident truths“ zu machen und sich diesen – dem Recht – dann zu verpflichten.

Dass Widerstand zur Pflicht wird sobald Unrecht herrscht scheint offensichtlich. Vielleicht ist die Frage dann eher, wie dieser Widerstand aussehen muss – kann man aktiven Widerstand von jedem verlangen? Aber wie auch immer man die Frage nach der Form des Widerstands beurteilt. Die erste Pflicht muss jene sein, sich nicht seinen Launen hinzugeben, wenn das Recht reflektiert wird, oder gar diese Reflexionen ganz abzulehnen.

Im Gegenteil: jeder Einzelne muss verantwortungs-, hingabevoll und ehrlich untersuchen, was recht ist und was nicht – und dann entsprechend seiner Überzeugungen handeln. Dabei sollte aber stets Vorsicht walten – der Versuch, in einem Zug Utopien auf Erden zu verwirklichen, ist häufig genug gescheitert. Auch wenn man eine klare Vision des Rechts hat, sollte nur mit vorsichtigem Schritte der Weg dorthin zurückgelegt werden.

Eine Ewigkeitsklausel wie auch die Überzeugung Einzelner, bestimmte „Wahrheiten“ seien „offensichtlich“, werden nicht ausreichen, um genau jene Werte, die so geschützt werden sollen, zu bewahren. Um sie zu sichern, müssen diese Werte stets neu gefunden, gelebt und beschützt werden. Wo Recht herrschen soll, werden Hingabe und Verantwortung zur Pflicht.

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