Buchrezension: Arthur Koestler – Sonnenfinsternis

von Max Molden

„Vielleicht“, so sinniert Nicolas Salmanowitsch Rubaschow, der Protagonist des Romans, „war es der Menschheit nicht bekömmlich, ohne Ballast zu fahren. Und vielleicht war die Vernunft allein ein unzureichender Kompass …“ Ja, vielleicht war er „den Amoklauf der reinen Vernunft“ gelaufen, der ihn nun dazu brachte, sich für Taten schuldig zu bekennen, die er nicht begangen hatte. Und dennoch schuldig zu sein.

Rubaschow ist eine fiktive Figur. Er hat nie existiert. Aber sein Schicksal ist das vieler. So ist das Buch Sonnenfinsternis gewidmet den Opfern der ‚Moskauer Prozesse‘, die in den späten 1930er Jahren in den Händen Stalins und dessen Schergen den Tod fanden. Rubaschow steht stellvertretend für jene, die als Werkzeuge der Geschichte die Revolution entfachten und dann von ihr zermalmt wurden. Für jene, die für Taten verurteilt wurden, die sie offensichtlich nicht begangen hatten, die sie aber gestanden. Für jene, die, so der Autor, aber dennoch Schuld trugen.

Arthur Koestler, der aus Ungarn stammende Autor des Buches, war in jungen Jahren selbst überzeugter Kommunist und verbrachte einige Zeit in einer Todeszelle in Sevilla. Eine Erfahrung, die in seinen Roman einfloss. Koestler konnte auch auf Berichte seiner Jugendfreundin Eva Zeisel, eine Nichte der Brüder Karl und Michael Polanyi, zurückgreifen. Zeisel wurde von 1936 bis 1937 in der Sowjetunion gefangen gehalten, beschuldigt, die Ermordung Stalins geplant zu haben. Sonnenfinsternis schrieb Koestler zwischen 1939 und 1940 in seinem Exil in Paris. Das Buch ist die Abrechnung eines ehemaligen Kommunisten mit dem Kommunismus, jedoch auch die Auseinandersetzung eines Mannes mit seiner eigenen Vergangenheit.

Aber auch wenn Koestler sein Buch dem Andenken der Opfer der Schauprozesse in der Sowjetunion gewidmet hat, ist doch eindeutig, dass es ihm nicht um diese allein und nicht den Kommunismus allein geht. Das zeigt sich dann, wenn Rubaschow, der auch in einem anderen Land im Gefängnis darbte, an seinem Lebensende nicht sicher ist, in wessen Namen der dunkle Pistolenlauf gehoben wird: Ist es „der mit dem ironischen Lächeln – oder der mit dem starren Blick?“

Koestlers Werk ist eine Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus als solchem, nicht mit einer seiner Ausprägungen. Mehr noch, den Ursachen des Totalitarismus. Diese macht Koestler aus in dem Versuch, den „ethischen Ballast“ abzuwerfen, der Verabsolutierung der menschlichen Vernunft, der Abkehr vom Ich hin zu „der ‚Menschheit‘“ sowie schlussendlich und wohl daraus folgend der Maxime der Zweck heilige die Mittel. Es ist ein Aufruf zur Demut: zu erkennen, dass der von dem unbedingten Glauben an die grenzenlose Gestaltungsfähigkeit des Menschen und das Primat des Kollektivs getragene, wohlmeinende Versuch, das Paradies auf Erden zu schaffen und diesem Ziel alles unterzuordnen zur Finsternis führt.

Arthur Koestlers auf Deutsch verfasster Roman Sonnenfinsternis erschien erstmals 1940 in der englischen Übersetzung als Darkness at Noon. Koestler glaubte, nur diese Übersetzung habe in den Kriegswirren überlebt, nicht das deutsche Original. Da das deutsche Originalmanuskript verloren geglaubt war, wurde das Werk aus dem Englischen ins Deutsche rückübersetzt. 2015 entdeckte der Wissenschaftler Matthias Weßel ein deutsches Originalmanuskript in Zürich. 2018 wurde der Originaltext im Elsinor Verlag veröffentlicht.

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