Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist

von Kevin Bayer

Früher war alles besser und mit der Menschheit geht es sowieso rapide bergab? Falsch! Nie gab es weniger Armut, eine höhere Lebenserwartung und mehr Menschen die frei von sexistischen und anderen repressiven Strukturen leben konnten. Doch tägliche Nachrichten über Naturkatastrophen, Gewaltverbrechen und andere Unglücke führen schnell zu einer dramatisch verzerrten Weltanschauung. Factfulness, geschrieben vom verstorbenen schwedischen  Professor Hans Rosling, zeigt anhand von renommierten Daten, Fakten und Statistiken, wie es der Menschheit tatsächlich geht: besser als je zuvor!
Doch warum sehen wir die Welt oft nicht so, wie sie faktisch ist? Rosling erklärt, wie unsere Denkmuster und Instinkte kolossal verzerrte Fehlschlüsse und -einschätzungen zulassen. Beispiel gefällig? Was glaubst du, wie sich die Verteilung von extremer Armut weltweit in den letzten 20 Jahren verändert hat? Hat sie sich  verdoppelt? Ist sie gleichgeblieben? Oder hat sie sich um etwa die Hälfte verringert?
Tatsächlich ist die letzte Antwort richtig. In den letzten 20 Jahren hat sich laut Weltbank der Anteil der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung nahezu halbiert. Laut der International Disaster Database sind die jährlichen Todesfälle durch Naturkatastrophen in den letzten 100 Jahren um 75 Prozent zurückgegangen. Mehr als 80 Prozent der einjährigen Kinder auf der Welt genießen heute nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wenigstens grundlegenden Impfschutz.
94 Prozent der Deutschen beantworten diese Fragen falsch und machen deutlich, dass unsere kollektive Weltsicht vor gewaltigen Problemen steht. Immer noch herrscht in vielen Köpfen ein falsches Bild. Zum Beispiel das einer zweigeteilten Welt der Entwicklungsländer mit hoher Kindersterblichkeit und des reichen Westens. Doch tatsächlich fallen heutzutage nur noch 13 Länder in die Kategorie „Entwicklungsland“, während es 1965 ganze 125 waren. Die gesellschaftliche Gesundheit, Bildung und Wirtschaft der meisten Länder haben sich in den letzten 50 Jahren drastisch verbessert. Leider ist das in vielen Köpfen nicht angekommen. Als Grund dafür beschreibt Rosling zehn Instinkte*, die zu einer verzerrten Wahrnehmung unserer Welt beitragen und ein maßgeblich verzerrtes Weltbild erzeugen. Außerdem neigen wir dazu, Dinge zu pauschalisieren und als unveränderbar zu betrachten. Eine klare und detaillierte Sicht auf die Welt, ergibt sich nur, wenn wir auf die richtigen Fakten im richtigen Kontext schauen.
Einer der von Rosling beschrieben Instinkte ist der Dringlichkeitsinstinkt. Während die meisten Probleme unserer Zeit vielschichtig sind und komplizierte Lösungen erfordern, sorgt der menschliche Instinkt der Dringlichkeit zu voreiligen und im Nachhinein oft falschen Schlüssen. Rosling hebt hervor, Entscheidungen gründlich zu überdenken, bevor man handelt. Am besten auf der Grundlage einer faktenbasierten Weltsicht. Übertreibungen statt Fakten sind dabei nicht hilfreich. Wenn das zweifelsohne wichtige Thema Klimawandel von Klimakämpfern beispielsweise mit Horrorszenarien statt faktisch wahrscheinlichen Entwicklungen „beworben“ wird, wirkt es dem Ziel eines glaubwürdigen Klimaaktivismus‘ kontraproduktiv entgegen. Denn verängstige Menschen fühlen sich bei Nichteintreten der Entwicklungen schlichtweg hintergangen! Ob Bildung, Wirtschaft oder Journalismus, Fakten und Glaubwürdigkeit sind wichtige Güter, die es zu schützen gilt!
Dabei lohnt es sich bei Schülern, den klugen Köpfen von morgen, anzufangen. Ihnen sollte man erklären, dass es in der Menschheitsgeschichte lichte wie auch dunkle Momente gab. Und dass es kein Widerspruch, sondern ein gewaltiger Fortschritt ist, wenn es zwar immer noch  großes Leid in der Welt gibt, aber es nie mehr Menschen so gut wie heute ging. Ein faktenbasiertes Weltbild hilft, sich kritisch mit Nachrichten auseinander zu setzen und eine neutrale Berichterstattung erkennen zu können.
Wie realistisch siehst Du selbst die Welt? Mache den Test: http://forms.gapminder.org/s3/test-2018
*Rosling beschreibt die folgenden zehn Instinkte:

  1. Lücken-Instinkt. Unsere Tendenz, die Dinge in zwei verschiedene und oft widersprüchliche Gruppen mit einer imaginären Kluft zwischen ihnen (z.B. wir und sie) einzuteilen.
  2. Negativitätstrieb. Unsere Tendenz, das Schlechte häufiger als das Gute wahrzunehmen (z.B. zu glauben, dass die Dinge schlechter werden, wenn sie tatsächlich besser werden).
  3. Gerade-Linien-Instinkt: Unsere Tendenz zur Annahme, dass eine Linie einfach weiter gerade verläuft und ignoriert, dass solche Linien in Wirklichkeit selten vorkommen (Bevölkerungswachstum).
  4. Angstinstinkt: Unsere fest verdrahtete Tendenz, mehr Aufmerksamkeit auf erschreckende Dinge zu richten.
  5. Größeninstinkt: Unsere Tendenz, die Dinge unverhältnismäßig zu machen oder die Größe der Dinge falsch einzuschätzen (z.B. überschätzen wir systematisch den Anteil der Einwanderer in unseren Ländern).
  6. Generalisierungsinstinkt: Unsere Tendenz, Dinge oder Menschen oder Länder, die eigentlich sehr unterschiedlich sind, fälschlicherweise zusammenzufassen (z.B. „Afrika“).
  7. Schicksalstrieb: Die Vorstellung, dass angeborene Merkmale das Schicksal von Menschen, Ländern, Religionen oder Kulturen bestimmen; dass die Dinge so sind, wie sie sind, aus unausweichlichen Gründen.
  8. Einzelperspektive: Unsere Tendenz, sich auf eine einzige Ursache oder Perspektive zu konzentrieren, wenn es um das Verständnis der Welt geht (z.B. die Gestaltung Ihrer Weltsicht durch das Vertrauen in die Medien, allein).
  9. Schuldgefühle: Unsere Tendenz, einen klaren, einfachen Grund zu finden, warum etwas Schlimmes passiert ist.
  10. Dringlichkeitsinstinkt: Unsere Tendenz, angesichts der wahrgenommenen unmittelbaren Gefahr sofort zu handeln und damit unsere anderen Instinkte zu verstärken.

 
Dieser Artikel spiegelt die Meinung des Autors, nicht der Organisation wieder. Dieser Blog bietet die Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Mehr zur Organisation auf www.studentsforliberty.de
 

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