BGE: Die Schatten der Vergangenheit

von Max Molden

Mit großen Hoffnungen und Erwartungen begann in den späten 1960er Jahren ein großes Experiment in den USA. Es war das Experiment einer negativen Einkommensteuer. Heute sind dessen Resultate weitgehend in Vergessenheit geraten, und das obwohl sie eindeutig die Probleme eines negativen Einkommens aufzeigen und damit einen Schatten auf das mittlerweile populäre bedingungslose Grundeinkommen werfen.

Mit rund 8.700 Testpersonen, einer auf 20 Jahre angelegten Laufzeit, mehreren Testorten sowie großer wissenschaftlicher Beachtung, startete in 1968 das „Negative Income Tax Experiment“. Die Idee der negative Einkommenssteuer wurde von Milton Friedman, einem großen liberalen Denker, popularisiert. Hinter dem Konzept versteckt sich – wie der Name schon sagt – eine monetäre Auszahlung durch den Staat an genau diejenigen, deren Einkommen unter einer gewissen Schwelle liegt. Die Höhe der Zahlung ist dabei dynamisch; verdient die Steuerzahlerin mehr als den Betrag, der die Schwelle darstellt, bekommt sie kein Geld mehr, sondern muss ganz normal Steuern zahlen.

Die negative Einkommenssteuer ist daher vom Grundsatz her dem bedingungslosen Grundeinkommen gleich. Hier ist es aber so, dass jeder einen festen Betrag bekommt, egal wie hoch das Einkommen ist. Der Effekt ist bei beiden Systemen der Gleiche: jeder erhält mit Sicherheit genügend Geld zum Überleben.

Die beiden größten Experimente wurden in Seattle und Denver durchgeführt, wo Niedrigverdiener in eine Experiment- und Kontrollgruppe aufgeteilt wurden. Aus dem Städtenamen und „Income Maintenance Experiment“ ergeben sich die Kürzel SIME/DIME. Die Ergebnisse waren katastrophal, wie Charles Murray in seinem Buch Losing Ground beschreibt. Diejenigen, die von einer negativen Einkommenssteuer profitieren konnten, blieben länger arbeitslos und arbeiteten seltener und weniger. Dies traf besonders auf junge Männer zu, die bis zu 43% weniger Arbeitsstunden pro Woche verrichteten. Insbesondere beim Eintritt in die Arbeitswelt waren hier enorme Probleme erkennbar, und das obwohl gerade dieser so wichtig für den sozialen Aufstieg ist.

Doch nicht nur die Effekte auf die Arbeitsmoral waren dramatisch. Die negative Einkommenssteuer führte auch zu mehr Scheidungen. Zum Beispiel ließen sich in der Kontrollgruppe nur 14,5% der Weißen scheiden, wohingegen es in der Gruppe mit negativer Einkommenssteuer rund 20,3% waren.

Welche Auswirkungen ein zeitlich unbegrenztes Experiment gehabt hätte, lässt sich nur spekulieren. Aber die Fakten deuten auf eine Verschärfung der beobachteten Effekte hin. Vergessen darf man dabei auch nicht, dass die Kontrollgruppe selbst schon von staatlichen Hilfeleistungen profitierte.

Diese Experimente aus der Hochzeit des US-Amerikanischen Wohlfahrtsstaates lassen sich vielleicht nicht eins zu eins auf die heutigen Überlegungen zum bedingungslosen Grundeinkommen übertragen. Sie zeigen aber eindeutig auf, dass kritische Stimmen  auch bei letzterem System beachtet werden sollten. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, dass irgendjemand einer anderen Person  auf der Tasche liegen könnte. Das ist zwar auch nicht wünschenswert, aber das größere Problem ist, dass das Vertrauen auf den Wohlfahrtsstaat in einer Abhängigkeit münden kann, in der es die Leistungsempfänger nicht mehr schaffen, der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Und gerade das scheint absolut nicht in ihrem Interesse sein zu können.

Diskussionen über das bedingungslose Grundeinkommen würden davon profitieren, ihren Blick weiter schweifen zu lassen und z.B. die alten Experimente zu betrachten, die mit einer negativen Einkommenssteuer durchgeführt wurden. Natürlich ist das Urteil durch deren schlechten Ergebnisse nicht abschließend gefällt, denn vielleicht würde sich die Situation heute und anderswo abweichend darstellen. Vielleicht werden die Kosten, die mit der negativen Einkommenssteuer einhergehen, sogar durch seine Vorteile aufgewogen. So könnte eine „Negative Income Tax“ oder das bedingungslose Grundeinkommen den Wohlfahrtsstaat eventuell gar entbürokratisieren, entschlacken und gerechter machen. All dies ist durchaus möglich, aber um eine gute Zukunftsprognose zu erstellen scheint es dennoch enorm wichtig, sich mit der Vergangenheit und den Resultaten ähnlicher Experimente intensiv auseinanderzusetzen. 

Welches Urteil man auch fällen mag – die Versuche aus der ferneren Vergangenheit sollten in der öffentlichen Debatte beachtet werden. SIME und DIME sollten definitiv jedem ein Begriff sein, der für ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Straße geht.

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