Liberale Politik in der Krise

von Juan De Dios Estevez

Mit mehr als einem Jahr bis zur Bundestagswahl können sich noch viele Schachfiguren bewegen und ein ganz anderes Bild erzeugen als die heutigen Umfragen vermuten lassen. Jedoch sind einige Trends schon vor der Corona-Krise klargeworden: die Grünen werden als (vermutlich) zweitgrößte Fraktion im Bundestag sitzen und die CDU/CSU wird einige Prozentpunkte zurückholen können. Zusätzlich sieht es momentan so aus, dass sich die FDP-Fraktion von 80 auf 40 Abgeordnete halbieren wird.

Denn während alle Oppositionsparteien in den letzten Monaten um das Scheinwerferlicht kämpften, purzelte die FDP-Führung nur von einem PR-Desaster zum anderen: Unter dem Motto „Gesund bleiben. Auch wirtschaftlich“ forderte die FDP-Fraktion seit April Lockerungen der Corona-Maßnahmen, jedoch fand diese Alternative in der öffentlichen Debatte kaum Berücksichtigung – ein Zustand, den das Politikmagazin Cicero in einer Karikatur treffend abbildete. Und im Laufe der Pandemie fanden die Liberalen, mit ihrem Posterboy Lindner, Platz in den Schlagzeilen eher wegen Kemmerichs Demo-Auftritt, Lindners Umarmung mit dem Honorarkonsul von Weißrussland, der Einladung an Boris Palmer, sich den Liberalen anzuschließen, und schließlich mit der fehlgeleiteten Entscheidung zur Ersetzung Linda Teutebergs.

Aber diese allein sind nicht die Ursachen des FDP-Absturzes in den Umfragen. Das Problem ist nicht erst durch die Pandemie oder nach der Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten entstanden. Bereits bei der Europawahl erzielte die FDP enttäuschende 5,4%, und auf Landesebene erreichte die Partei ebenfalls nur mäßige Ergebnisse. Die Wahl Linda Teutebergs zur Generalsekretärin und der Versuch, die One-Man-Show der Partei zu beenden, brachten auch nur mäßige Ergebnisse mit sich – was ihre Demission aber auch nicht richtig macht. Neben dem immer polarisierenden Kubicki sind keine weiteren FDP-Politiker beim Wahlvolk wirklich angekommen.

Das größte Problem der FDP ist ihre Richtungslosigkeit. Ihr Versuch, politische Inhalte durch vage Stichwörter wie #Mittelstand, #Digitalisierung oder #UpdateFürEuropa zu kommunizieren, ist nicht erfolgreich. Im Zuge ihrer Bemühungen ihr altes Image abzustreifen – jenes einer Klientelpartei – versucht die FDP sich als „Partei der Mitte“ auszugeben; diese Taktik ist aber genauso nichtssagend wie falsch. In der unbestimmten, ohne klares Ziel vorgetragenen, eben richtungslosen Bemühung sich für mehr Wähler attraktiv zu machen, hat die FDP ihre Identität verloren – falls diese überhaupt jemals existierte. Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan sagte in seiner Rede „A Time for Choosing“:

“[T]oday we are told we must choose between a left and right or, as others suggest, a third alternative, a kind of safe middle ground. I suggest to you there is no left or right, only an up or down. Up to the maximum of individual freedom consistent with law and order, or down to the ant heap of totalitarianism; and regardless of their humanitarian purpose those who would sacrifice freedom for security have, whether they know it or not, chosen this downward path.”

Eine liberale Partei muss klar für Rechtsstaatlichkeit, einen begrenzten Staat und individuelle Freiheit stehen. Doch statt eine klare, liberale Position zu vertreten, fordert die FDP uns auf „neu zu denken“, was auch immer damit gemeint sein soll. Während die Grünen mit klaren, teils sogar extremen Botschaften an die Jugend appellieren, trauen sich die Freien Demokraten nicht, schärfere Positionen anzunehmen. Daniel Kretschmar macht folgende, passende Analogie in seinem TAZ-Artikel: „Wäre die FDP eine Aktie, dann am ehesten ein volatiler Pennystock – von geringem Wert, aber starken Kursschwankungen unterworfen.“

Möchte die FDP sich als liberale Partei etablieren und nicht nur als Junior-Koalitionspartner der CDU, dann ist vielleicht ein Wechsel in ihrer Führungsposition mehr als nötig. Aber gibt es Alternativen zu Christian Lindner?

Die Positionen von Kubicki oder von Oliver Luksic, dem aktuellen Sprecher für Verkehr und digitale Infrastruktur, könnten den Grundstein bilden, um ein klassisch liberales Programm und Image zu erarbeiten. Zudem zeigen Sozialliberale wie Konstantin Kuhle, Ria Schröder und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dass die FDP auch mit Themen umgehen kann, die sonst nur von Grünen oder Sozialdemokraten behandelt werden. Schritte in diese Richtung könnten die FDP wieder attraktiver für die Jugend machen, eine Jugend, die sich heute eher für Soziale Gerechtigkeit als für dem Umbau des Rentensystems interessiert. Jedoch wird dies nicht das Problem der Richtungslosigkeit der FDP lösen. Denn wer mit den Grünen oder der SPD konkurrieren möchte, muss Sachlichkeit zurücklassen und in Empörungskultur und Identitätspolitik eintauchen. 

Obwohl die Frage nach Führungskräften berechtigt ist, sollten Liberale – und das schließt natürlich liberale Parteien ein – nicht den Fokus auf Persönlichkeiten legen, sondern auf Ideen. Während viele, links wie rechts, auf lautstarke Meinungsmacher hören, sollten liberale Parteien Wert auf Ideen an sich setzen und versuchen, ihre Wähler für diese zu gewinnen. Erst wenn die Menschen selbst Verantwortung, Respekt und die Liebe für die Freiheit hochhalten, wird es möglich die Gesellschaft langfristig zu einem freieren Ort zu machen. Natürlich ist dieser Weg der schwierigere, und es mag sein, dass populistische Parolen am einfachsten den Wähleranteil erhöhen, aber für eine liberale Partei sollte diese Art der Stimmenmaximierung nicht das Endziel sein.

Eine liberale Partei soll die nüchterne Stimme in der politischen Debatte sein. Eine Stimme, die für die offene Gesellschaft wirbt, gleichzeitig aber sachlich und pragmatisch agiert. In einer politischen Landschaft, in der AfD und Grüne mit emotional geladenen Argumenten für Stimmen werben, braucht Deutschland mehr denn je eine Partei, die sich als Stimme der Vernunft durchsetzt.

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