Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes lagen im Jahr 2021 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Deutschland bei rund 113 Milliarden Euro. Gut ein Drittel der Ausgaben wurde durch staatliche Mittel finanziert. Dies ist ein neuer Höchststand in diesem Segment. In den kommenden Jahren ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Diese Zahlen führen vor Augen, welch hohe Summen für die Unterhaltung des Wissenschaftssystems aufgewendet werden müssen. In Zeiten von knappen Budgets und notwendigen Einsparungen stellt sich die Frage, inwieweit diese Aufwendungen für die Wissenschaft gerechtfertigt sind.
Als Argument wird zumeist der gesellschaftliche Nutzen der Wissenschaft angeführt. Die Gesellschaft investiert viel in die Wissenschaft, sie bekommt dafür aber auch etwas zurück. So lautet der Deal. Die Lösung von gesellschaftlichen Problemen sowie Impulse für technologische und soziale Innovationen, so der Tenor, sei die Daseinsberechtigung der Wissenschaft.
Was zuvor aber als nützliche Nebenfolge galt, wird zunehmend zur Hauptsache der Wissenschaft erklärt. Exemplarisch hierfür steht das Programm „Gesellschaft der Innovationen – Impact Challenge an Hochschulen“, das zu Beginn des Jahres durch das Bundesforschungsministerium aufgelegt wurde. Laut Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ziele das Programm auf “eine Kultur der Sozialen Innovationen und mehr Gründungsaktivitäten in unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Dies möchten wir mit der Impact-Challenge vorantreiben, unserem Booster für Soziale Innovationen an Hochschulen.” Verfestigt sich diese Denkweise, könnten es wissenschaftlich interessante Projekte ohne engeren Bezug zu einem aktuellen gesellschaftlichen Problem zunehmend schwer haben im Wettbewerb um Fördergelder.
Dass eine Politik, die Nützlichkeit in den Vordergrund rückt, aber das genaue Gegenteil zu bewirken droht, zeigt das Beispiel der Sowjetunion. Hier wurde die Aufgabe der Wissenschaft zunehmend darauf reduziert, zur Erfüllung der Vorgaben des Fünf-Jahres-Plans beizutragen, wie etwa die Steigerung der Getreideernte. Diese Ausrichtung hatte zur Folge, dass man nicht länger die wissenschaftlich überzeugendsten Forschungsansätze bevorzugte, sondern jene, die Hoffnungen auf eine unkomplizierte technologische Nutzbarmachung weckten. In der Folge wurden in der Sowjetunion kaum noch nennenswerte Forschungsergebnisse erzielt, worunter freilich auch der technologische Fortschritt litt, basieren technologische Innovationen doch in vielen Fällen auf genuinen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Wie kommt es aber zu wissenschaftlichen Durchbrüchen? Entscheidend hierfür ist das Bemühen von Forscherinnen und Forschern, wissenschaftliche Probleme zu lösen. Damit sind die Fragen gemeint, die innerhalb eines Fachgebiets als interessant und aussichtsreich gelten. Entscheidend ist daher, dass Wissenschaftler ihren intellektuellen Interessen und Neigungen nachgehen können, und nicht dem folgen müssen, was Geldgeber oder andere Institutionen gerade für maßgeblich halten. Denn das persönliche intellektuelle Interesse ist eine unverzichtbare Voraussetzung für wissenschaftliche Erkenntnisgewinne, die schließlich auch dem technologischen Fortschritt dienen.
Die Möglichkeit des freien Forschens, das vom wissenschaftlichen Erkenntnisstreben geleitet ist, erscheint aus einem zweiten Grund wichtig zu sein. Denn nicht selten sind es wissenschaftliche Erkenntnisse ohne unmittelbar ersichtlichen Anwendungsbezug, die zu einem späteren Zeitpunkt einen unerwarteten technologischen Durchbruch ermöglichen. Exemplarisch hierfür sei auf die jahrzehntelange Forschung an mRNA verwiesen, die im Zuge der Coronapandemie die Entwicklung eines wirkungsvollen Impfstoffs ermöglichte. Die bewusste Steuerung der wissenschaftlichen Tätigkeit mit dem Ziel, möglichst viele Innovationen zu ermöglichen, verkennt daher, dass sich nicht im Voraus bestimmen lässt, welche wissenschaftliche Erkenntnisse zu Innovationen führen.
Es mag paradox klingen, aber gesellschaftlich nützliche Innovationen entstehen gerade dann, wenn das Streben danach nicht im Vordergrund steht. Die Bewilligung von Fördergeldern nach dem Kriterium der gesellschaftlichen Nützlichkeit rückt aber genau das Streben nach technologischen Innovationen in den Vordergrund. In letzter Konsequenz kann dies zur Folge haben, dass Wissenschaftler nicht länger ihren intellektuellen Interessen folgen, sondern sich an von außen vorgegebenen Kriterien orientieren. Ein solches Vorgehen würde der Wissenschaft und der Gesellschaft erheblichen Schaden zufügen.
Ein solcher Niedergang ist derzeit noch nicht zu beobachten. Dennoch bleibt die zunehmende Erwartung eines gesellschaftlichen Nutzens nicht folgenlos. So wird in Projektanträgen allerhand Pseudonutzen erdacht, um die (Weiter-)Förderung eines wissenschaftlichen Projekts zu sichern. Auf einmal versprechen allerhand Projekte für die Entwicklung und Anwendung von künstlicher Intelligenz von Nutzen zu sein, allerhand Projekte sind für den nachhaltige Gestaltung der Gesellschaft von Bedeutung. Dabei sind diese Anwendungsbezüge in vielen Fällen an den Haaren herbeigezogen.
Dabei ist denjenigen, die sich um Forschungsgelder bemühen, kein Vorwurf zu machen. Im Wissen darum, dass die Entscheidungsträger die Bewilligung von Fördergeldern vom zu erwartenden gesellschaftlichen Nutzen abhängig machen, sehen sich die Antragsteller dazu gezwungen, fragwürdige Nutzenversprechen zu machen. Von diesen Zumutungen sollte man die Wissenschaft erlösen, indem man die Akteure nicht länger mit wissenschaftsfernen Erwartungen behelligt. Hierzu muss die Gesellschaft in erster Linie von der Vorstellung abrücken, wonach die Daseinsberechtigung der Wissenschaft primär in ihrem gesellschaftlichen Nutzen liegt.
Der Beitrag spiegelt die Meinung des Autors, nicht notwendigerweise jene der Organisation wider. Dieser Blog bietet eine Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Du möchtest auch einen Artikel beisteuern? Schreib uns einfach eine Mail: redaktion@derfreydenker.de!
Mehr zur Organisation auf www.studentsforliberty.de.