Martin Rhonheimer ist ein katholischer Priester. Er war von 1990 bis 2020 Professor für Ethik und Politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom. Er ist Gründungspräsident des Austrian Institute of Economics and Social Philosophy in Wien, wo er gegenwärtig lebt.
Wann haben Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben den Wert von Freiheit erkannt?
Als ich mit sieben Jahren zusammen mit meinem zwei Jahre älteren Bruder zum katholischen Glauben konvertierte und meine Mutter, die damals noch nicht getauft war, ihrem Vater gegenüber, der deswegen ungemein erzürnt war, entschlossen unsere Freiheit verteidigte – mein Großvater, den ich sehr liebte, sprach danach ein ganzes Jahr lang nicht mehr mit ihr.
Welches Buch hatte den größten Einfluss auf Ihr Leben?
Das hängt von der Lebensphase ab. Aufgrund des eben Gesagten natürlich die Bibel, aber das wollen wir jetzt einmal ausklammern. Zunächst waren es die Klassiker der deutschen Literatur. Dazu bin ich gekommen, weil mir mein Bruder schlauerweise ein Buch mit dem Titel „Klassische Kriminalgeschichten“ zum Lesen gab. Es enthielt Novellen von Goethe, Schiller, Kleist, Grillparzer und anderen Klassikern, in denen irgendein Verbrechen oder Mord vorkam. Ich las damals vor allem Kriminalromane, aber so entdeckte ich die „echte“ Literatur. Nach der schöngeistigen Periode erwachte mein Interesse für Philosophie, Politik und Ökonomie und noch als Gymnasiast las ich fast alle Bücher von Willhelm Röpke. Damit gelangte ich zu der Überzeugung, dass man ohne Kenntnisse in Wirtschaft die Welt nicht verstehen kann.
Und welcher Denker hatte den größten Einfluss auf Sie?
Auch das hängt wieder von der Periode ab. Für meine philosophische Bildung war Thomas von Aquin entscheidend. Wichtig waren aber auch immer Autoren, die ich las, weil ich wusste, dass sie im Irrtum waren, was mich herausforderte. So las ich als Gymnasiast – es war gerade auch Mode (1968!) – Marx und Freud und wurde dadurch zum Antimarxisten und Antifreudianer. Eine Unzahl von Autoren bestärkten mich danach in meiner Auffassung. Viel später las ich dann Hayek und Mises, die mir eine neue Sicht auf Fragen der Wirtschaft eröffneten und meine Freiheitsliebe bestärkten. Aber da ich unterrichtete und Bücher über Ethik, politische Philosophie und anthropologische Fragen schrieb, musste ich selbst sehr viel lesen – und dabei hat mich irgendwie alles beeinflusst.
Was ist Freiheit und wo liegen ihre Grenzen?
Man muss unterscheiden: Zunächst ist Freiheit die Fähigkeit, sich selbst, aus eigenem Antrieb und eigener Einsicht, aufgrund des Willens zum Guten hinzubewegen. Wer sich nicht fragt, was in Wahrheit gut und richtig ist, kann seine Freiheit deshalb nicht richtig gebrauchen. Freiheit setzt Vernunft und Denken voraus. Wer sie missachtet, ist nicht frei, sondern wird Sklave seiner Triebe und augenblicklichen Wünsche. Er zerstört damit sein Gewissen als die innere Stimme, die zum Guten mahnt und vom Bösen abhält. Genau deshalb ist aber auch der Zwang Feind der Freiheit – denn der Mensch darf nie gegen sein Gewissen handeln. Im politischen Zusammenhang jedoch, muss man Freiheit vor allem als Abwesenheit von Zwang sehen – vom Zwang, durch Gesetze und andere staatliche Maßnahmen als Instrument für die Pläne anderer Menschen benutzt zu werden. Denn es ist nicht Aufgabe des Staates, den Menschen zu sagen, was für sie gut ist, und es ihnen gar aufzuzwingen. Das hat F. A. Hayek sehr deutlich in seinem Buch „Die Verfassung der Freiheit“ zum Ausdruck gebracht. Aus dem Gesagten geht hervor, dass Freiheit immer auch Verantwortung für das eigene Tun bedeutet.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Freiheit seit der Wende? Was ist zurzeit ihre größte Bedrohung?
Seit dem Ende des kalten Krieges ist die Welt unübersichtlicher geworden. Was mir auffällt – und der Trend kommt eigentlich aus den USA – ist ein zunehmender Meinungskonformismus, ja geradezu ein Zwang dazu. Es gibt neue Tabus, Dinge über die man nicht sprechen darf, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden. Viele Menschen getrauen sich nicht mehr, ihre Meinung zu sagen und dadurch verarmt der öffentliche Diskurs. Das ist auch ein Problem der sozialen Medien: denn heute kann ja jeder jederzeit seine Meinung zum Besten geben – das geschieht allerdings nicht immer in angemessener Weise. So wird dort oft auch Unsägliches gesagt. Es scheint mir noch nicht geklärt, welches eigentlich der Status und die Verantwortung dieser sozialen Medien ist.
Brauchen wir Freiheit in den nächsten Jahrzehnten?
Aber sicher! Die Freiheit ist immer die Grundlage des friedlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens und des wahren Fortschritts. Dafür muss man manchmal auch auf mehr „Effizienz“ verzichten. Aber langfristig zeigt sich dann, dass die Freiheit immer gewinnt und in diesem Sinne auch „effizienter“ ist.
Wenn Sie eine riesige Botschaft am Wiener Stephansdom platzieren könnten, was würde darauf stehen und warum?
„Das ist ein Gotteshaus. Kommen Sie herein, um zu beten, und vergessen Sie die Politik.“ Nicht weil Christen sich nicht politisch betätigen sollen, aber weil die Kirche nicht die Aufgabe hat, ihren Gläubigen zu sagen, wie sie das tun sollen. Gerade hier ist die Freiheit eines jeden und die Vielfalt der Meinungen zu respektieren.
Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der gerade ins Berufsleben eintritt? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Ich würde ihm raten, möglichst den eigenen beruflichen Neigungen zu folgen, hart zu arbeiten, sich durch Misserfolge nicht abschrecken zu lassen, und das Risiko nicht zu scheuen, gleichzeitig aber auch Wert auf freundschaftliche Bindungen und die Familie zu legen – ja, wenn möglich, unbedingt eine Familie zu gründen, und zwar ohne Angst davor, Kinder zu haben, auch wenn man dann eventuell beruflich zurückstecken muss! Ignorieren sollte ein junger Mensch den Rat: Suche dir eine Stelle beim Staat, das bietet ein sicheres Einkommen! Leute, die so denken, gibt es leider immer mehr, und es sind schon viel zu viele.