Positive Diskriminierung, falsche Rücksicht auf archaische Parallel- und Gegenkulturen, „Genderwahn“: Der Vorwurf der Identitätspolitik gehört mittlerweile zum Standardrepertoire neurechter Kritik am linksliberalen Mainstream. Zwar schießen die Kritiker der Identitätspolitik bisweilen übers Ziel hinaus, doch es lässt sich schwerlich abstreiten, dass linke Politik ihren ursprünglichen Fokus auf die universalistischen Werte der Aufklärung zunehmend verliert und sich stattdessen auf das Hegen und Pflegen von widersprüchlichen Minderheiteninteressen versteift.
Mit dem Sammelband „Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik“ legt Herausgeber Johannes Richardt nun eine umfassende Kollektion von Perspektiven auf und Argumenten gegen die Identitätspolitik vor. Die Analyse der insgesamt 19 Autoren fällt dabei keinesfalls einseitig aus, denn der Novo-Redaktion ist es gelungen, ein breites politisches Spektrum abzubilden – vom konservativen Kulturkritiker und Psychologen Jordan Peterson über den liberalen Republikaner und Politikwissenschaftler Mark Lilla bis zum linken Klassenkämpfer und Philosophen Robert Pfaller.
Ebenso breit wie die Autorenschaft fällt das Themenspektrum aus: Michael Zürn analysiert den politisch-kulturell inszenierten Konflikt zwischen Weltbürgern und Heimatverwurzelten. Joanna Williams stellt heraus, wie sich durch die Gender-Forschung und die auf ihr aufbauende Geschlechterpolitik ein unheilvoller neuer Identitätsdeterminismus breitmacht. Gerd Held weist auf die identitätspolitischen Irrwege in der Diskussion um die katalanische Unabhängigkeit hin. Volker Weiss nimmt sich das Gegenstück linksliberaler Identitätspolitik vor, also das in manch konservativen Kreisen gepflegte Denken in Opferkollektiven, Volk und Nation.
Bei allen Unterschieden in Duktus und Analysefokus: Die hier versammelten Autoren eint die Kritik an der Idee, dass Individuen vor allem als Mitglieder besonderer Minderheiten wahrgenommen werden sollten und als solche Träger gruppenspezifischer politischer Rechte seien. Die Identitätspolitik, so eine zentrale These des Buchs, entsolidarisiert die Gesellschaft, indem sie unser gemeinsames Fundament – gleiche Rechte, gleiche Pflichten – in Frage stellt, politische Streitfragen kulturell auflädt und kulturelle Unterschiede politisiert. Sie erscheint damit als Negierung der Werte der Aufklärung, hinter die sich alle Demokraten, linke wie rechte, liberale wie konservative, stellen sollten.
„Die sortierte Gesellschaft“ empfiehlt sich bestens für all jene, die das zusammenhaltende Moment vieler jüngerer politischer Trends begreifen und ihre Kritik an der Identitätspolitik argumentativ schärfen wollen oder einfach nur Lust an provokanten, erfrischenden Thesen haben. Wünschenswert wäre ein deutlicheres Gewicht auf die Darstellung der Alternative gewesen – die Vision einer aufgeklärten Gesellschaft, in der Menschen nicht als Teil einer Minderheit wahrgenommen und politisch kategorisiert werden, sondern als Träger unveräußerlicher Grundrechte mit der Bereitschaft, kulturellen Eigenarten gegenseitig zu tolerieren.
Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitätspolitik, Edition Novo, 2018. ISBN: 978-3-944610-45-0
Dieser Artikel spiegelt die Meinung des Autors, nicht der Organisation wieder. Dieser Blog bietet die Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Mehr zur Organisation auf www.studentsforliberty.de
Die Probleme mit der Identitätspolitik
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