Nicht fürs Klima, sondern für sich selbst kleben – eine Analyse der Klimaaktivisten 

von Stefan Kosak und Max Molden

Die mediale Debatte um den Klimaaktivismus kreist um haltlose Vorwürfe und offensichtliche Streitfragen, während die wirklich problematischen Aspekte der Protestbewegung kaum Beachtung finden. Zentral ist dabei der Idealismus der Klimaaktivisten: es geht ihnen weniger um den Kampf gegen den Klimawandel, als vielmehr um das für sie sinnstiftende Erlebnis des Kampfes für eine größere Sache.

Um die Protestaktionen der „Letzten Generation“ und ähnlichen Gruppen ist eine aufgeregte Debatte entbrannt, die immer unsachlicher geführt wird. So werden die Klimaaktivisten mit haltlosen Vorwürfen bis hin zu persönlichen Beleidigungen konfrontiert. Die Palette der Verunglimpfungen reicht hierbei von der Bezeichnung als Terroristen bis hin zum Vorwurf des Antisemitismus. Unter den Scharfmachern sind nicht zuletzt namhafte Politiker, die mit ihren verbalen Attacken Hass gegenüber den Aktivisten schüren und so zu einer feindseligen Stimmung beitragen, die sich in tätlichen Übergriffen und Gewalt entladen kann. 

Die verbalen Entgleisungen sind aber auch deshalb ein Problem, weil sie eine sachlich-kritische Auseinandersetzung mit den Anliegen der Protestgruppen verhindern. Die derzeit dominierende Kritik ist oberflächlich, baut auf Strohmännern und Zerrbildern auf und läuft daher ins Leere. Eine Kritik, die zu konstruktivem Austausch und dann auch zu konstruktiven Lösungen führt, muss sich stattdessen um ein wirkliches Verständnis der zugrundeliegenden Überzeugungen und Anliegen der Aktivisten bemühen. Nur so lässt sich eine Debatte führen, die über haltlose Vorwürfe und offensichtliche Streitpunkte hinausgeht, wie etwa der Frage nach der Zulässigkeit des zivilen Ungehorsams in einem Rechtsstaat oder ob die Protestaktionen die Polarisierung weiter vorantreiben. 

Hierfür müssen wir uns den Verlautbarungen und praktischen Aktionen der Protestgruppen zuwenden, da hier die zugrundeliegenden Ideen und Absichten jenseits der vermittelten Zerrbilder deutlich werden. Hier zeigt sich: Die Radikalität betrifft nicht die Forderungen nach ernstgemeinten Maßnahmen gegen die Erderwärmung – weder das 9-Euro-Ticket noch ein Tempolimit sind besonders radikal –, sondern all das, was über diese Forderungen hinausgeht. 

Die vielleicht wichtigste Feststellung ist, dass die Klimaaktivisten einen übersteigerten Idealismus an den Tag legen. Mit der Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe haben sie zwar ein hehres Ziel vor Augen; der Kampf gegen den Klimawandel gilt aber nicht mehr „nur“ der voranschreitenden Erderwärmung und einer damit verbunden geglaubten Verschlechterung der Lebensbedingungen. Über dieses Anliegen hinausgehend weiten die Aktivisten den Kampf gegen den Klimawandel zu einem Kampf für eine grundsätzlich veränderte Weltordnung aus, in der die Aktivisten „die alte Welt“ mit ihren ausbeuterischen Regimen durch eine neue Welt ersetzen, in der der Mensch „wirklich menschlich“ sein kann. Unter diesen Voraussetzungen erkennt man im Klimawandel ein Ereignis, an dem sich das Schicksal der Menschheit entscheidet: „Was wir jetzt tun, entscheidet über das Schicksal dieser und der nächsten Welt“.  

Und dieses dramatische Ereignis von größter Bedeutung verlangt drastische Maßnahmen. Dies erklärt auch den beinahe religiösen Eifer, der in folgenden Äußerungen zum Ausdruck kommt: „Gemeinsam, in Gemeinschaft, ergreifen wir ein höheres Ziel. Die Quelle dessen, was es bedeutet, wirklich menschlich zu sein. Sie ruft uns über die Zeitalter hinweg.“ Solange noch „Atem in ihren Körpern ist“, werden die Klimaprotestler nicht aufgeben. Amin Nassehi hat in einem Beitrag jüngst auf den Sinnüberschuss verwiesen, den diese Aufladung hervorruft. Mit der Aufladung gewinnt der Kampf gegen den Klimawandel also eine zusätzliche Bedeutung, die als sinnstiftend erfahren wird. Es entsteht eine Bewegung, die die Anhänger mitreißt und die ihnen eine heilige Sache gibt, mit der sie sich identifizieren können und die ihrem Leben neuen Sinn schenkt. Diese radikalen Anhänger sind “true believers”, wie sie Eric Hoffer in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hat. 

In Anbetracht dieser Erwartungshaltung müssen die bisherigen Anstrengungen und Bemühungen klein erscheinen. Sie gehen nicht weit genug oder sind kompromissbehaftet. Dies zeigt sich vor allem im ambivalenten Verhältnis zum Zertifikatehandel als Lösung für den Kampf gegen den Klimawandel. Dieser ist ein wirkungsvolles marktwirtschaftliches Instrument, aber gerade kein Instrument, das an der vorherrschenden (Wirtschafts-)Ordnung rüttelt. Sondern vielmehr eines, das diese zementiert. Und somit ist es nicht kompatibel mit der Vision einer Neuordnung der Gesellschaft, die mit dem Klimawandel auch gleich noch alle anderen (vermeintlichen) Übel der Welt überwindet. Der Zertifikatehandel wird daher nicht unterstützt, da er in den Augen der Aktivisten nicht tugendhaft ist: er mag effektiv sein, aber er erfüllt die idealistischen Anforderungen nicht, da er die bestehende, also die „falsche“ Ordnung zementiert.  

Von dieser Überhöhung und Sinnaufladung geht eine Gefahr aus. Sie ruft eine gewaltige Erwartungshaltung hervor, die über die Bekämpfung des Klimawandels hinausgeht. Die bestehenden Maßnahmen erfüllen bei weitem nicht die idealistischen Ansprüche. So zeichnet sich innerhalb der Bewegung immer mehr eine Enttäuschung ab, die in zweierlei Hinsicht gefährlich ist. Sie kann einerseits radikales bzw. fanatisches Handeln befördern, das die geforderten, tugendhaften Anstrengungen erzwingen soll. Hier droht also die Gefahr eines neuerlichen Tugendterrors, wie es ihn in Frankreich zur Zeit der Revolution gegeben hat. Mit Gewalt werden die beanspruchten Tugenden durchgesetzt. Andererseits kann die Enttäuschung auch zu Gleichgültigkeit, Resignation, Verbitterung und Zynismus führen. Es geht dann der Glaube an das allseitige Bemühen verloren. Es dominiert die fatalistische Auffassung, dass sich ja sowieso nichts ändern wird. Die Folge ist dann Rückzug und Verbitterung. Möglicherweise entlädt sich der enttäuschte Idealismus auch in zynischer Gewalt. 

Beides ist dem Kampf gegen den Klimawandel nicht zuträglich. Man sollte daher gerade den Teilen der Klimawandelbewegung mit Vorsicht begegnen, die den größten Idealismus zur Schau stellen. Für diese „true believers“ steht nicht der Kampf gegen den Klimawandel im Mittelpunkt, sondern die für sie erfüllende, sinnstiftende Erfahrung für eine größere Sache zu kämpfen. Aber auch dann sind populistische Strafandrohungen und Verunglimpfungen nicht angebracht. Vor allem sollte man aber den moderaten Teilen der Bewegung Gehör schenken, die an konstruktiven Lösungen interessiert sind. 

Related Articles

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

© 2024 – Der Freydenker | All rights reserved

Facebook Twitter Instagram