Die FDP zwischen allen Stühlen

von Johannes G. F. Bruhn

Dass gestern mit Thomas Kemmerich der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Thüringer Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hat wohl jeden überrascht. Da ich sowohl der FDP, als auch Thüringen verbunden bin und Thomas Kemmerich vor ein paar Jahren kennenlernen durfte, bewegt dieses Ereignis natürlich auch mich. Auch wenn dieser Zustand nicht auf Dauer zu sein scheint – die FDP-Fraktion hat bereits einen Antrag auf Auflösung des Landtages und somit Neuwahlen gestellt – ist dies doch ein außergewöhnliches Ereignis, das seine Spuren hinterlassen wird.
Was daraus machen? Es ist eine Tatsache, dass erstmals bei einer so wichtigen Abstimmung in einem deutschen Landesparlament die Stimmen der AfD einen Unterschied gemacht haben. Dass das so ist, ist bedauerlich. Angesichts ihrer Stärke – in Thüringen stellt sie nach der linkspopulistischen bis -radikalen LINKE die zweitgrößte Fraktion – war es allerdings vorhersehbar, dass das früher oder später einmal so kommen musste. Es ist das Ergebnis einer demokratischen Wahl, das uns in diese Lage gebracht hat.
Angesichts dessen waren alle Parteien der Mitte gefangen „between a rock and a hard place“. SPD und Grüne haben das für sich schon vor fünf Jahren gelöst, in dem sie sich nicht bloß von der zweifach umbenannten SED haben tolerieren lassen, sondern aktiv deren Kandidaten zum Ministerpräsidenten gewählt und sogar eine Regierungskoalition unter ihrer Führung gebildet haben. Schon das war ein “Dammbruch” – dass diejenige Partei, die 40 Jahre lang in der DDR regiert hatte und verantwortlich für Berliner Mauer, Stasi und Schießbefehl war, nun einen Ministerpräsidenten im wiedervereinigten Deutschland stellte, ist eigentlich unerhört. Unterstützer dieser Idee wenden gerne ein, dass Ramelow ja aus dem Westen stamme und daher unbelastet sei. Doch auch er setzt sich nicht in angemessenem Maße kritisch mit der Geschichte seiner Partei auseinander, duldet ehemalige Parteikader und Stasi-Spitzel in seiner Fraktion und hat keine Skrupel, öffentlich zu betonen, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. In der öffentlichen Berichterstattung scheint dies nun alles kein Problem zu sein.
CDU und FDP wollten dies – verständlicherweise, wie ich finde – aber nicht unterstützen. Ihre Alternative war, einen parteilosen Kandidaten zu wählen, den die AfD nominiert hatte. Auch das taten sie nicht, was natürlich richtig ist. Auch eine Enthaltung wäre keine gute Option gewesen, denn sie wäre dem Eingeständnis gleichgekommen, einem Kandidaten einer radikalen Partei nichts entgegensetzen zu können oder zu wollen. Eine Wahl, bei der lediglich Kandidaten radikaler Parteien zur Wahl stehen und die Mitte einhellig darauf verzichtet, überhaupt erst einen Kandidaten zu benennen? Ein fatales Signal. Also war die einzige Option, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Die CDU hat dies nicht getan, die FDP tat es. Dass der schlussendlich sehr knapp eine Mehrheit errang, ist eine Überraschung. Da der AfD-Kandidat schlussendlich ohne Stimmen blieb, kamen die nötigen Stimmen dafür offensichtlich nicht nur von CDU und FDP, sondern auch von der AfD. Ihr war es offensichtlich wichtiger, eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung zu verhindern, als ihren eigenen Kandidaten zu unterstützen, der ja ohnehin keine Chance gehabt hätte.
Dass die Parteien links der Mitte, samt ihrer Unterstützer, nun sauer sind, ist logisch. Ihr Kandidat, ihre Regierung wurde abgewählt. Das ist aber kein Ergebnis des heutigen Tages, das war schon das Ergebnis der Wahl im Oktober. Mir scheint, dass sie das erst gestern realisierten. Wenn sie eine Minderheitsregierung stellen wollten, dann hätten sie zumindest einer der anderen Parteien ein gutes Angebot machen müssen. Wie hätte so ein Angebot aussehen können? Beispielsweise hätte die Koalition einen Kandidaten nicht aus der radikalsten ihrer Mitgliedparteien, sondern etwa aus der SPD aufstellen können. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass dieser bei CDU und FDP viel eher den einen oder anderen Unterstützer hätte finden können, um auf die nötige Mehrheit zu kommen. Doch derlei Überlegungen hat es offensichtlich nicht gegeben. Es war arrogant, stattdessen anzunehmen, man könne trotz verlorener Wahl und fehlender Mehrheit einfach weitermachen wie bisher und hätte einen Anspruch darauf, von diesen Parteien mitgewählt zu werden. Rot-rot-grün hatte keine Mehrheit. Die hatten sie einfach nicht. Das ist das Wahlergebnis.
Die CDU hätte übrigens auch einen eigenen Kandidaten aufstellen und dann wählen können. In dem Falle hätte Bodo Ramelow die relative Mehrheit erhalten, gleich wie die AfD sich verhalten hätte. Aber das hat die CDU nicht getan, wohl weil sie aus Berlin ein entsprechendes Signal erhalten hat. Dieses zombiehafte Verhalten ist charakteristisch für die Merkel-CDU. Damit trägt sie eine nicht zu unterschätzende Mitverantwortung für dieses Ergebnis.
All die Aufregung einmal beiseite, stellt sich die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Nun sieht es so aus, dass es Neuwahlen geben wird. Einen Antrag auf Auflösung des Landtages hat die FDP-Fraktion gestellt. Natürlich kann man neu wählen. Aber es steht zu erwarten, dass das Ergebnis nicht signifikant anders wäre. Es kann nicht der Ansatz sein, so lange wählen zu lassen, bis einem das Ergebnis recht ist.
Ich denke, wir müssen uns langsam mal eingestehen, dass wir in einer Sackgasse stecken und da so schnell nicht herauskommen werden. Die AfD wird nicht plötzlich wieder verschwinden. Also müssen wir eine Art finden, mit ihr umzugehen. Der bisherige Umgang hat uns genau dahin gebracht, wo wir jetzt sind. Er war also offensichtlich nicht sinnvoll. In Thüringen sind keine Mehrheiten mehr ohne die Parteien der extremen Pole möglich. Immerhin stellt keine davon jetzt mehr den Ministerpräsidenten. Es stimmt aber auch: Da AfD und LINKE nicht zusammenarbeiten werden, ist auch keine Mehrheit ohne die Parteien der Mitte möglich. Angesichts dessen muss ein Ministerpräsident nicht aus einer der radikalen Parteien kommen, auch wenn diese die stärksten Fraktionen stellen mögen. Ich denke, es wird wohl Minderheitenregierungen der bürgerlichen Mitte geben müssen. Das ist neu, das ist ungewohnt, das fühlt sich nicht gut an. Aber es wird nicht anders gehen.
Es muss jetzt endlich um Inhalte gehen. Die vielen politischen Herausforderungen, die in Thüringen bestehen, und von denen viele unter der letzten Regierung brach lagen, müssen angepackt werden. Nur so kann das Vertrauen in die Politik und insbesondere die Parteien der Mitte wiederhergestellt werden. Das ewige Setzen von “Zeichen”, “Signalen” und “Symbolen” muss aufhören.

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