Thüringen: Was jetzt?

von Philipp Neudert

Als einzige deutsche Partei führt die FDP die Freiheit in ihrem Parteinamen. Sie selbst versteht sich als zentristische und bürgerliche Kraft. Und ausgerechnet diese Partei soll aus purer Machtgier mit Faschisten kooperiert haben? So sah es am Dienstag aus. Der gern von links beschworene „Extremismus der Mitte“ hatte sich in Thüringen blitzartig in einen Extremismus der Rechten verwandelt, der die gesellschaftliche Mitte erfasst hatte; ein faktisches, wenngleich nur indirektes Mitregieren der AfD sah unausweichlich aus. Zwar konnte die FDP das Ruder 25 Stunden später gerade noch einmal herumreißen, indem der frisch gewählte Ministerpräsident Kemmerich am Tag nach der Wahl seinen Rücktritt ankündigte und die FDP-Fraktion die Selbstauflösung des Landtages beantragte. Die Implosion der frisch gewählten Ultra-Minderheits-Regierung wirbelt indes viel Staub auf, die strukturellen Fragen und Grundprobleme, die das Eskalieren der politischen Situation erst möglich machten, bleiben verdeckt. Hat die FDP tatsächlich mit der AfD kooperiert? Ist die demokratische Querfrontregierung jetzt eine sinnvolle Option? Gibt es keinen anderen Ausweg?

Hat die FDP wirklich mit der AfD kooperiert?

»Kooperation (lateinisch cooperatio ‚Zusammenwirkung‘, ‚Mitwirkung‘) ist das zweckgerichtete Zusammenwirken zweier oder mehrerer Lebewesen, Personen oder Systeme mit gemeinschaftlichen Zielen. Ist die wechselseitige Einwirkung der Akteure nicht intentional oder zweckgerichtet, spricht man hingegen von Interaktion.«
Wikipedia über »Kooperation«

Ob die FDP  tatsächlich mit der AfD kooperiert hat, hängt insbesondere davon ab, ob die Parteien tatsächlich ein gemeinschaftliches Ziel verfolgt haben. Die AfD wollte primär Ramelow stürzen. Dieses Ziel war ihnen sogar so wichtig, dass sie ihrem eigenen Kandidaten deshalb keine einzige Stimme gaben. Die FDP hingegen wollte primär einen bürgerlichen, d.h. weder einen AfD- noch einen Linken-Kandidaten durchsetzen. Da die CDU keinen eigenen Kandidaten aufgestellt hatte, blieb der FDP im Grunde nichts anderes übrig, als einen eigenen, eigentlich aussichtslosen aufzustellen. Die AfD wirkte daraufhin mit der FDP zusammen – wenn auch nicht, um ein gemeinsames, sondern um ihr eigenes, mit dem der FDP nicht deckungsgleiches Ziel zu erreichen. Es bietet sich an, von Interaktion zu sprechen. Der FDP-Kandidat Kemmerich hatte diese Wendung mindestens geahnt und für diesen Fall offenbar auch Rückendeckung von Parteichef Lindner. Allerspätestens, als sich die kurzzeitige Hoffnung auf eine zentristische Expertenregierung mit punktueller Unterstützung der linken Parteien zerstreute, war das Ende einer Regierung unausweichlich, die so nie hätte zustande kommen dürfen. Die Liberalen hofften scheinbar, die AfD täuschen und ausnutzen zu können – und wurden dabei selbst übertölpelt.

Die AfD kann die Politik auch aus der Opposition beherrschen

Diese Kette von Ereignissen führt unseren Blick langsam zu dem politischen Grundproblem, das trotz verhinderter de-facto-AfD-Regierung fortexistiert. Warum konnte es denn überhaupt zu diesem Wahlergebnis kommen? Weil wir es mit einem demokratischen Land zu tun haben, in dem weder linke noch rechte Koalitionen (geschweige denn liberale) noch einen mehrheitsfähigen Kandidaten aufstellen können. Stattdessen grenzt sich ein schrumpfendes Lager aus „Bürgerlichen“ – Christ- und Freidemokraten – scharf gegen ein rechtsextremes und deutlich weniger scharf gegen ein linkes Lager ab, das jedoch ebenfalls keine eigene Mehrheit mehr hat. Eine solche Situation ist traurig genug, solange die Koalition aus „Bürgerlichen“ und gemäßigten Linken die einzige Möglichkeit ist, ein Land zu regieren – traurig deshalb, weil es für den Souverän, das Volk, eben keine konstruktiven Wahlmöglichkeiten mehr enthält. Unheimlich wird es aber, wenn auch dieses Lager der „Gemäßigten“ keine Mehrheit mehr hat – wenn die letzte verbliebene Option eine Querfrontregierung ist, deren einziger gemeinsamer Nenner die Ablehnung der AfD ist. Denn das bedeutet, dass die AfD aus der Opposition heraus die Bedingungen der Regierungspolitik diktiert.

Warum konnte es denn überhaupt zu diesem Wahlergebnis kommen? Weil wir es mit einem demokratischen Land zu tun haben, in dem weder linke noch rechte Koalitionen (geschweige denn liberale) noch einen mehrheitsfähigen Kandidaten aufstellen können.
 

Eine Querfrontregierung würde den Sog zur Bahama-Koalition stärken

Eine solche Querfrontregierung würde den AfD-Mythos eines Altparteien-Kartells weiter füttern. Die zu erwartende Zerstrittenheit einer solchen Regierung würde der AfD ebenfalls in die Hände spielen. Diesem bedrückenden Tatbestand ist auch nicht mit dem korrekten Verweis abzuhelfen, Ramelow sei doch persönlich sympathisch und politisch vernünftig, eher Sozialdemokrat als Sozialist und nie durch radikale Politik hervorgetreten. Eine Demokratie, in der grundlegende und produktive Regierungswechsel nicht mehr möglich sind, würde langsam ihre Identität verlieren. Was, wenn eine Querfrontregierung zum Dauerzustand wird, über viele Legislaturperioden hinweg – auch wenn es nur Thüringen ist? Kann sich Regierungspolitik langfristig nur über die Ablehnung einer bestimmten Partei definieren? Sollen die ungelösten Dissense innerhalb der Querfrontregierung einfach ausgeblendet werden? Die Verführung einer schwarz-gelb-blauen „Bahama-Koalition“ (oder auch nur einer schwarz-blauen) wird dann langsam, aber stetig zunehmen. Dass es in der FDP wenigstens für kurze Zeit einige für möglich hielten, eine solche Koalition könne informell bereits heute Wirklichkeit werden, spricht Bände. Dass diese Stimmen innerhalb der FDP offenbar keine Mehrheit haben, beruhigt zunächst – aber eben nur zunächst. Der Zerfall des Liberalismus schreitet voran. Die Konservativen bleiben unentschieden. Wenn die AfD eine langfristige Strategie hat, dann ist diese Sogwirkung auf Teile der Bürgerlichen sicher Teil davon. Angesichts des gerade erlebten Shitstorms werden diese zwar sicher nicht dieses und auch nicht nächstes Jahr umschwenken. Doch was ist in zehn, in zwanzig Jahren? Es wird der Tag kommen, an dem keine Holocaust-Überlebenden mehr von den Taten der Nationalsozialisten berichten können.

Eine Minderheitsregierung könnte doch ein Ausweg sein

Unter diesen Umständen könnte eine Ultra-Minderheits-Regierung mit Expertenkabinett unter Ausschluss der AfD vielleicht tatsächlich einen Ausweg bieten. Sie könnte inhaltlich das Gleiche erreichen wie eine Querfrontregierung – eine Art sachpolitischen Minimalkonsens – ohne jedoch FDP, Linke und CDU in die ungeliebte Koalition zu zwingen. Basis einer solchen Regierung müsste jedoch ein Grundvertrauen der Parteien ineinander sein, bestimmte machtpolitische Spiele zu unterlassen, um die Verführung, die AfD doch ins Boot zu holen, gar nicht erst entstehen zu lassen. Eine solche Regierung, die ohne die Stimmen der AfD gewählt wird, würde sowohl die Querfront als auch die völlige Unregierbarkeit verhindern.

 
Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Funzel.
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