Polyamorie: Freie Liebe für freie Menschen

von Paulina Plinke

Heute im einundzwanzigsten Jahrhundert haben wir so viele Freiheiten wie wohl zu keinem vorangegangenen Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit. Diese Freiheiten erstrecken sich über fast alle Bereiche unseres Lebens, darunter auch etliche sehr private Aspekte. Einer von diesen ist die Art und Weise wie wir zwischenmenschliche Beziehungen führen und definieren. Neben traditionellen Vorstellungen monogamer Paarbeziehungen – wofür die Ehe ein Vorbild ist – gibt es eine Vielzahl weiterer Formen, wovon die Polyamorie eine ist. Im Gegensatz zur Polygamie, mit der sie oft verwechselt wird, bezeichnet Polyamorie nicht den Zustand der Ehe mit mehreren Menschen sondern lediglich die Tatsache, dass eine Person sich in einem Gefüge aus unterschiedlichen emotionalen und auch sexuellen Beziehungen zu mehreren anderen Leuten befindet. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass man mehr als einen Menschen auf dieselbe romantische Art und Weise lieben kann. Diese Form der Liebe wird aktuell noch wenig praktiziert. Aber warum eigentlich? Denn bei genauerer Betrachtung des Konzepts fällt schnell auf, dass Polyamorie im Grunde genommen viele Vorteile gegenüber der klassischen Monogamie bringt – allem voran ein hohes Maß an Freiheit.
Bereits die Griechen wussten, dass es mehr als nur eine Art von Liebe gibt, weswegen sie auch sieben verschiedene Worte für das hatten, was wir heute undifferenziert unter dem Begriff Liebe zusammenfassen. Mit anderen Worten: Wir sind in der Lage gleichzeitig unterschiedlich stark ausgeprägte Emotionen für verschiedene Personen zu empfinden. Polyamorie eröffnet uns die Möglichkeit dies aktiv auszuleben: Man führt mehrere Beziehungen parallel, wobei sich diese jeweils auf unterschiedlichen Leveln befinden. Somit müssen wir uns nicht mehr entscheiden, falls wir zwischen zwei Personen hin- und hergerissen sind. Die Monogamie würde uns zwingen uns für die eine und gegen die andere Person zu entscheiden. Am Ende wäre damit die Person unserer Wahl glücklich, die andere Person unglücklich – und wir selbst vermutlich auch etwas unglücklich, weil wir genau wissen würden, dass wir etwas verpassen. In der Polyamorie hingegen ist es völlig legitim eine Dreiecksbeziehung zu führen, in der alle Beteiligten voneinander wissen – und glücklich sind, weil sich gegen niemanden sondern für jeden Einzelnen entschieden wurde.
Betrachtet man das eben genannte Beispiel etwas genauer wird jedoch gleich eine elementare Frage aufgeworfen: Warum kommt es überhaupt zu der Situation, dass wir Interesse an mehr als einer Person haben? Die Antwort ist ganz einfach: Weil der Mensch ein unglaublich komplexes Wesen ist, welches eine Vielzahl verschiedenster Bedürfnisse hat – viel zu viele als dass eine einzelne Person diese alle jemals erfüllen könnte. Also wecken mehrere Personen unser Interesse, weil sie etwas an sich haben was wir wollen. Nun stehen wir vor der Wahl: Wer erfüllt mehr oder wichtigere unserer Bedürfnisse? Eine schwere Entscheidung, die allerdings das Konzept der Polyamorie schlicht nicht erfordert – denn hier können wir mit mehr als nur einem Menschen eine Beziehung führen. Somit sind mehr unserer Bedürfnisse besser erfüllt und wir im Endeffekt deutlich glücklicher.
Zu mehr Zufriedenheit trägt ebenso bei, dass wir durch Polyamorie mehr Erfahrungen sammeln, lernen und uns weiterentwickeln. Dies wiederum ist eine Bereicherung für jede einzelne unserer Beziehungen. Weitere Vorteile sind unter anderem die Unkompliziertheit und Ungezwungenheit innerhalb polyamorer Beziehungen. Da Polyamorie nicht mit solchen Verpflichtungen wie Treue einhergeht, hat man hier die Freiheit zu tun was und mit wem man möchte ohne hinterher ein schlechtes Gewissen gegenüber irgendjemandem zu haben. Hinzu kommt eine hohe Flexibilität in vielerlei Hinsicht: Beispielsweise besteht nicht die Notwendigkeit sich trotz wenig Zeit mit der Freundin zu treffen – ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Zuneigung kann schließlich auch ein anderer stillen. Des Weiteren erspart man sich in der Polyamorie die unsichere Phase in der man sich dauernd fragt „was ist das mit uns denn nun?“, da keine exakte Definition der zwischenmenschlichen Beziehungen nötig ist.
Die Schlussfolgerung aus alledem lautet: Rein logisch betrachtet ist die Polyamorie ein recht vernünftiges Konzept. Dem im Weg steht allerdings ein nicht zu unterschätzender Faktor: Die emotionale Komponente, welche von extrem großer Bedeutung ist.
Die meisten Menschen wollen monogam leben. Selbst wenn sie die eben erläuterten Argumente als rational anerkennen und verstehen. In vielen Fällen ist Eifersucht ausschlaggebend dafür, sich für die Monogamie zu entscheiden. Eifersucht ist an sich aber schon unbegründet und unangebracht: Im Grunde genommen ist sie nichts anderes als ein gefühlter Besitzanspruch auf einen anderen Menschen. Wir wollen nicht, dass unser Partner oder unsere Partnerin sich mit jemand anderem vergnügt. Und diese absolut irrationale Eifersucht hindert uns daran, sich für ein Modell zu entscheiden, welches so viel mehr Freiheit für alle Beteiligten bedeuten würde.
Ein weiterer Grund, warum sich Leute für Monogamie entscheiden, ist die Tatsache, dass man sich von einer langfristigen, vielleicht sogar lebenslangen Beziehung neben Beständigkeit und Sicherheit vor allem Nähe, Vertrautheit und Geborgenheit  erhofft. Damit man eine solch enge emotionale Bindung zu einem Menschen aufbauen kann, braucht es ein hohes Maß an Intimität. Diese wird in polyamoren Beziehungen aber relativ betrachtet durch die beliebige Promiskuität der Beteiligten entwertet, da zumindest die körperliche Intimität nicht mehr einer einzigen Person vorbehalten bleibt. Dadurch kann es schwierig sein, sich vollständig bei einer Person fallen zu lassen.
Doch die Gründe für unser Denkmuster sind tief verankert: Von klein auf werden wir geprägt durch die Gesellschaft in der wir aufwachsen – und diese Gesellschaft suggeriert, dass das altbekannte Konzept der Monogamie das Nonplusultra wäre. Eine recht konservative Denkweise, die Veränderungen nicht duldet. Somit passen wir uns gezwungenermaßen an, um dazuzugehören und lassen zu, dass unsere Freiheit eingeschränkt wird. Wir hören auf zu hinterfragen und übernehmen das Verhalten, das uns vorgelebt wird: Die monogame Lebensweise.
Dass diese etliche gravierende Nachteile hat, scheint dabei niemanden zu stören. Zum Beispiel, dass so etwas wie Fremdgehen überhaupt möglich ist. Das ist der mit Abstand häufigste Trennungsgrund – und auch hier wäre die Lösung des Problems simpel: Polyamorie. Denn das eigentlich schmerzhafte am Fremdgehen ist nicht an sich die sexuelle Interaktion mit jemand anderem als dem Partner, sondern vielmehr der dadurch hervorgerufene Vertrauensbruch. Wir sind verletzt, weil wir hintergangen und betrogen wurden, indem der Partner unser Vertrauen in ihn ausgenutzt und missbraucht hat. In polyamoren Beziehungen hingegen wissen alle Beteiligten voneinander, es muss nichts verheimlicht werden. Aber wie eben angesprochen wollen die meisten Leute sich nicht darauf einlassen; ganze 85% könnten sich nicht einmal im Ansatz vorstellen polyamor zu leben.
Ein weiterer möglicher Grund dafür könnte sein, dass eine Verbreitung von polyamoren Lebensformen dazu führen würde, dass es einige grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft geben würde. Beispielsweise wäre unsicher wie die Zukunft der Ehe aussehe: Weiterhin zwischen nur zwei Menschen oder nicht? Ein weiterer Aspekt ist die Erziehung von Kindern: Würden sie in einer Welt voller polyamor lebender Individuen weiterhin von den zwei leiblichen Elternteilen aufgezogen werden? Schon heutzutage gibt es so viele Ehescheidungen, sodass die Frage nach neuen Familienmodellen aufkommt. Doch noch lässt sich das verdrängen; die Verbreitung der Idee der Polyamorie hingegen würde eine Beschäftigung mit diesem Umstand erfordern.
Aber auch in anderer Hinsicht erweitert Polyamorie unseren geistigen Horizont: Damit Polyamorie funktioniert, sind Offenheit und Ehrlichkeit sehr wichtig, schließlich sollen alle Beteiligten voneinander sowie über ihren jeweiligen Standpunkt innerhalb des Beziehungsgeflechts Bescheid wissen. Das führt dazu, dass man sich bewusster mit den Beziehungen auseinandersetzt und deswegen auch klarer kommunizieren kann was genau man will – was ebenfalls eine Bereicherung darstellt.
Bei rein rationaler Betrachtung des gesamten Sachverhalts überwiegen die Vorteile der Polyamorie ganz klar, doch schlussendlich lässt sich sagen: Jeder Einzelne muss für sich entscheiden womit er oder sie sich wohlfühlt – weshalb es auch sein kann, dass die Leute sich dann freien Willens dafür entscheiden, monogam zu leben und sich selbst und anderen damit Grenzen zu setzen …
 
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