Warum wir eine liberale EU brauchen

von Nikodem Skrobisz

Bürger- und Menschenrechte, die Freiheit der Märkte und der Gedanken, Rechtsstaatlichkeit, Individualismus, der Glaube an Aufklärung, Diskurs, Toleranz und Fortschritt. Das sind die Kernwerte des Westens – und die des klassischen Liberalismus. Der Etablierung und Umsetzung dieser Werte haben wir es zu verdanken, dass die Menschen im Westen, das heißt vor allem in Nordamerika, Australien und Europa, in einem Glück leben, wie es einzigartig in der Welt ist. Fast nirgendwo sonst können die Menschen so viel Freiheit genießen; sei es bei der Wahl ihres Berufs, der Wahl ihrer Liebesbeziehungen, ihres Wohnortes oder bei der schlichten Entscheidung, welches Produkt sie aus dem überfüllten Supermarktregal nehmen sollen, während sie zugleich frei von den Schrecken eines Krieges oder eines Terrorregimes in Frieden leben können.
Vor allem wir jungen Menschen in Europa nehmen diese Freiheit und den Frieden oft als etwas Selbstverständliches an; doch leben wir im Gegenteil nicht nur in einer geographischen Filterblase, sondern auch in dieser in einer einzigartigen historischen Neuheit. Noch vor etwas über 30 Jahren litt halb Europa hinter dem Eisernen Vorhang unter den Schrecken des Kommunismus und die ganze Welt lebte in Angst vor dem nuklearen Damoklesschwert; in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts starben Millionen, um die Werte der Freiheit gegen Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus zu verteidigen. Die EU und ihre Vorgängerinstitutionen haben in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass das vergossene Blut nicht umsonst war und die einzigartige Freiheit, der Wohlstand und der Frieden in Europa prosperieren konnten. Es ist jedoch alles andere als gewiss, ob diese historische Phase des Friedens und der Prosperität nicht doch nur eine kurze Episode ist und nicht der Beginn einer friedlicheren Weltordnung, wie wir es sonst anzunehmen geneigt sind. All diese Errungenschaften stehen nämlich heute auf dünnem Eis und von allen Seiten schlagen Krisen gefährliche Risse, die Europa erneut zurück in die Barbarei zu stürzen drohen.
Der demographische Wandel und unkontrollierte Migration erdrücken die arbeitende Bevölkerung, Zentralisierung, Nepotismus und Protektionismus zerstören die Märkte, der Klimawandel den Planeten. Digitalisierung und K.I.s machen die Zukunft des Arbeitsmarkts scheinbar unberechenbar; russische, islamische und chinesische Expansionsbestrebungen, und zeitgleich der Vertrauensverlust in die USA, drängen Europa aufgrund ihrer vernachlässigten Verteidigungspolitik wieder als potentielles Schlachtfeld in das Zentrum der globalen Machtkämpfe. Hedonistische Dekadenz und Ignoranz gegenüber der Geschichte und den Werten Europas, gepaart mit der Propaganda ausländischer Mächte und den Ideologien der Neuen Linken, treiben die Jugend wie eine Herde bekiffter Schafe über die kulturelle Klippe, in den Abgrund von Nihilismus und Selbstzerstörung. Populismus und Identitätspolitik von Links und Rechts spalten in Folge die Bevölkerung und die Parlamente. Spätestens seit dem Brexit werden die nicht unberechtigten Befürchtungen lauter, das Überleben der EU angesichts so vieler innerer und äußerer Feinde sei in Gefahr.
Dabei ist der größte Feind der Europäischen Union die Europäische Union selbst. Sie ist nämlich in den vergangenen Jahren zu einem bürokratischen Monster geworden, das still und heimlich immer mehr Macht an sich reißt. Diese Entwicklung hat zu der Politikverdrossenheit und dem Populismus geführt, die viele der Krisen in der EU um Euro, Migration und Rechtsstreitigkeiten verschärft haben und auch mitunter unlösbar machen. Vor allem die Migrationskrisen stürzten die EU in innere Konflikte und trieben viele Menschen in die Arme von Rechtspopulisten, die einfache Lösungen versprechen. Um das Problem der Migration zu bewältigen, helfen allerdings weder die linkspopulistischen und naiven Forderungen nach komplett offenen Grenzen, noch die rechtspopulistischen und ebenso irren Forderungen nach totaler Abschottung und Zersplitterung. Gleiches trifft ebenso auf die anderen aktuellen Krisen der EU zu, sei es die Verteidigungspolitik, der Klimawandel, der Brexit oder der Umgang mit China und Russland. Populistische, einfache Antworten sind ungefähr so effektiv, wie sich einen Fuß abzusägen, weil der kleine Zeh gebrochen ist – sie führen uns, genauso wie die Populisten und Utopisten des vergangenen Jahrhunderts es immer wieder taten, eher zurück in die Schützengräben, wenn nicht gar in eine nukleare Wüste, als dass sie jemals eines ihrer Utopieversprechen einlösen. Auch eine konservative “Weiter so”-Politik, die an der Vergangenheit festhält, wie sie im Deutschland der letzten Jahren grandios gescheitert ist,  kann keine konstruktiven Lösungen bieten. Wir leben in einer Welt, die sich immer schneller entwickelt und taktet und sich in einer technologischen Revolution befindet, deren Ausgang möglicherweise zurzeit unvorstellbare Veränderungen des Menschen durch Gentechnik, künstliche Intelligenzen und Gehirn-Computer-Schnittstellen sein wird. Darauf muss die Politik aktiv reagieren, wenn der Fortschritt an Europa und seinen Bürgern nicht vorbeiziehen soll.
Die konstruktive Antwort auf die existierenden und kommenden Herausforderungen Europas können deshalb nur liberale Reformen der EU liefern. Die Europäische Union ist als Soft Power und Koordinationsnetzwerk der europäischen Staaten eine einzigartige und nicht mehr wegzudenkende Errungenschaft, vor allem im Hinblick darauf, dass sich Europa nur geschlossen gegen die Machtspiele der USA, der islamistischen Staaten,  Russlands und Chinas bewähren kann. Sie abzuschaffen wäre daher Selbstmord – sie aber in ihrem jetzigen Kurs weiter gewähren zu lassen, wäre eine sichere Nominierung für den Darwin-Award. Die Eigendynamik der überflüssigen EU-Bürokratie muss in seinem immer perverser werdendem Wachstum eingedämmt werden; und ebenso muss den Träumen einiger Linker aus Europa eine neue Sowjetunion oder einen anderweitig dysfunktionalen Zentralstaat zu machen, Einhalt geboten werden. Europa kann sich in den komplizierten Zeiten, die uns bevorstehen, weder einen regressiven Rückfall in die Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts leisten, noch einen erstickenden, das Leben und damit die Produktivkräfte ausbremsenden Bürokratiekoloss.
Europa braucht stattdessen eine starke, liberale EU, die die europäischen Werte von Freiheit und Recht verteidigen kann, die sich nicht auf die Gefühle einiger laut schreiender Extremisten, sondern auf das aufklärerische Ideal der Vernunft verlässt; die nicht der Versuchung der Macht erliegt, sondern der spontanen Ordnung und den regionalen Politikern gewähren lässt und zugleich aufgeschlossen gegenüber der Zukunft und den damit einhergehenden notwendigen Veränderungen ist. Nur so kann langfristig der Wohlstand gemehrt, mit Innovationen die Umwelt gerettet und Frieden und Freiheit bewahrt werden. Und auch nur ein stabiles und funktionierendes Europa ist am Ende auch in der Lage, den Wohlstand und die Freiheit auch in andere Länder zu verbreiten und so auch die gesamte Welt besser zu machen.
Liberale Politik bedeutet nämlich nicht nur freie Märkte schaffen – auch wenn diese essentiell sind, da es kaum freie Menschen ohne einen freien Markt geben kann. Liberale Politik bedeutet vor allem Mut zu notwendigen Veränderungen, die Verteidigung der Errungenschaften der Freiheit, der Glaube an die Zukunft und den Wert der Bildung, sowie an die Verantwortung und die Rechte des Individuums. Und das brauchen wir heute in Europa so dringend, wie vielleicht noch nie zuvor.
 
Dieser Artikel spiegelt die Meinung des Autors, nicht der Organisation wieder. Dieser Blog bietet die Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Mehr zur Organisation auf www.studentsforliberty.de

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1 Kommentare

Warum wir eine liberale EU brauchen - Leveret Pale 17. März 2019 - 10:01

[…] erschien ursprünglich am 09.03.2019 auf dem Blog des Magazins „Peace Love Liberty“: https://peace-love-liberty.de/liberale-eu/ Und ist mehr oder weniger die Zusammenfassung der politischen Forderungen, die sich aus meinem Essay […]

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