Drei Reformvorschläge für die Rente

von Xaver Maximilian Spörl

Es gehört wohl zu den am schlechtesten gehüteten Geheimnissen der Bundesrepublik, dass die Überalterung der Bevölkerung die gesetzliche Rentenversicherung schon bald vor sehr große Probleme stellen könnte. Auch ist man sich einig, Norbert Blüms berüchtigte Zusage ob der Robustheit unserer Altersvorsorge zu belächeln. Trotzdem wird das Thema Rentenreform in der öffentlichen Debatte meist recht zahm angegangen.

Zwar kam dieses Problem in den vergangenen zwei Jahren etwas öfter zu Sprache. Beispielsweise im Zusammenhang mit Friedrich Merzens vielkritisiertem Vorschlag steuerlicher Anreize für private Vermögensbildung durch Aktien. Doch alles in allem fehlt Politikern die Fantasie – oder eher der Mut – etwas Anderes zu verändern als die drei Stellschrauben Beitragshöhe, Rentenhöhe, Renteneintrittsalter.

Weiter verwunderlich ist das natürlich nicht. Denn die Babyboomer bilden die größte Kohorte der deutschen Wählerschaft und deren Renteneintritt liegt nur noch wenige Jahre in der Zukunft. Darum mögen sie nicht einmal an den oben genannten Stellschrauben etwas verändert sehen (höchstens noch bei den Beiträgen, die ja dann ihre Kinder zu zahlen haben), geschweige denn am ganzen System. Zeit für ein paar konstruktive Vorschläge.

1. Flexibler Renteneintritt

1960 lag das durchschnittliche Zugangsalter für die Altersrente in der BRD bei etwa 65 Jahren. Ein 65-Jähriger Mann konnte damals damit rechnen, noch 12 Jahre zu leben, eine gleichaltrige Frau 15 Jahre. Heute ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen, das Zugangsalter jedoch nicht. Im Gegenteil: 2017 lag es bei knapp 64 Jahren. Männer die 2017 ihre Altersrente antraten, werden diese durchschnittlich 20 Jahre genießen können, Frauen sogar 23 Jahre.

Wäre es nicht durchaus sinnvoll, das Renteneintrittsalter mit der Lebenserwartung steigen zu lassen? Schließlich leben die Leute nicht nur länger als zu Adenauers Zeiten, sie sind mit 70 Jahren auch tendenziell vitaler, als sie es damals waren. Doch nicht alle Menschen altern gleich: genetische Disposition, Verhalten und nicht zuletzt auch der Beruf haben Einfluss auf die Leistungsfähigkeit im Alter. Während die 75-jährige Marketingspezialistin am liebsten noch 5 bis 10 Jahre weiterackern würde, ist der Möbelpacker schon mit 60 am Ende seiner Kräfte.

Diesem Umstand wird mit der Erwerbsminderungsrente zum Teil schon Rechnung getragen. Es fehlen die Anreize, länger zu arbeiten. Diese ließen sich zum Beispiel in Form von Steuererleichterungen für Arbeitnehmer, die ihren Renteneintritt verzögern, setzen. Der Vorteil dieser Maßnahme bestünde darin, dass sie auf absoluter Freiwilligkeit basiert. Sie müsste also nicht gegen den Widerstand der älteren Generation durchgesetzt werden. Und trotzdem könnte sie dafür sorgen, dass die gesetzliche Rentenversicherung – wenn auch in geringem Maße – auf der einen Seite entlastet wird, auf der anderen zusätzliche Einzahlungen erhält

2. Beveridge statt Bismarck!

In der Forschung wird teilweise zwischen zwei Typen von Sozialsystemen unterschieden: dem Bismarck- und dem Beveridge-Modell.

Das Bismarck-Modell wurde in den 1880er-Jahren in Deutschland entwickelt und ist heute vor allem in Kontinentaleuropa prominent vertreten. Es finanziert sich aus einkommensabhängigen Beiträgen der Erwerbstätigen und zielt auf Erhaltung des Lebensstandards. Die Höhe der Auszahlung hängt dabei in der Regel von der Höhe der Einzahlungen ab.

Das Beveridge-Modell entstand im frühen 20. Jahrhundert in Großbritannien und ist daneben vor allem in den nordeuropäischen Ländern zu finden. Hier finanziert sich der Sozialstaat aus Steuern und soll in erster Linie für eine Grundsicherung in Form von einheitlichen Pauschalleistungen sorgen.

So gesehen ist das Bismarck-System nicht im Sinne der Subsidiarität. Der Staat sollte nur diejenigen Aufgaben übernehmen, die nicht auf einer unteren Ebene bereitgestellt werden können. Hierunter mag die Grundsicherung fallen, ob die Erhaltung des Lebensstandards auch dazu zählt, ist jedoch sehr fraglich. Anders gesagt: es ist nicht die Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, dass das Juristenehepaar auch im Alter noch in seiner 120-Quadratmeter-Wohnung in der Hamburger Innenstadt wohnen kann.

Eine einkommensunabhängige, steuerfinanzierte Grundrente, wie sie schon in den frühen 2000er-Jahren vom Soziologen Meinhard Miegel beworben wurde, erscheint sinniger. Diese wäre insgesamt günstiger und unbürokratischer als unsere gesetzliche Rentenversicherung, würde Rentner vor der Altersarmut bewahren und könnte im Bedarfsfall durch betriebliche und private Altersvorsorge ergänzt werden.

Ein Land, das auf ein solches Drei-Säulen-Modell aus staatlicher Grundrente, betrieblichen Pensionskassen und privater Vorsorge setzt, sind die Niederlande. Mit diesem System belegten sie in den vergangenen Jahren stets den ersten Platz im Global Pension Index der Unternehmensberatung Mercer.

3. Doppelte Buchhaltung für mehr Transparenz im Staatshaushalt

Der dritte Vorschlag bezieht sich nicht direkt auf unser Rentensystem, könnte allerdings dazu beitragen, die Sensibilität für die Rentenproblematik zu schärfen. Bislang führt der deutsche Staat seine Bücher nach dem Prinzip der Kameralistik, das heißt: Einnahmen minus Ausgaben.

Das Gegenstück zur Kameralistik ist die Doppelte Buchführung. Hierbei gibt eine Bilanz Aufschluss über das gesamte Vermögen, sowie seine Finanzierung durch Eigen- und Fremdkapital. Beim Fremdkapital kann es sich um Schulden in Form von Darlehen handeln, aber auch um künftig zu tätigende Ausgaben, sogenannte Rückstellungen. Bei vielen Unternehmen machen Pensionen der Arbeitnehmer einen nicht zu vernachlässigenden Teil dieser Rückstellungen aus.

Wendete man dieses Prinzip konsequent auf den Bundeshaushalt an, dann würde mit Rentenerhöhungen auch das Fremdkapital steigen. Dies wäre sicherlich kein schöner Anblick für die vorgeblich auf finanzielle Solidität bedachte Bundesregierung, die sich bis zum Corona-Krisenjahr so gerne mit der „Schwarzen Null“ brüstete, aber es wäre wenigstens ehrlich.

Obwohl die EU-weiten Rechnungslegungsstandards EPSAS, die Einführung der Doppelten Buchhaltung für alle öffentlichen Haushalte vorsehen, wehrt sich Deutschland bislang dagegen. Einzig das Land Hessen verwendet seit 2009 die sogenannte Doppik und berichtet höchst positive Erfahrungen damit.

Fazit

Es ist offensichtlich, dass die Politik das leidige Rententhema nicht mehr lange vor sich herschieben kann. Je eher eine Umstrukturierung der Altersvorsorge in Angriff genommen wird, umso fairer lassen sich deren Kosten auf die Schultern mehrerer Generationen verteilen und müssen nicht nur von den Jüngeren getragen werden.

Ob und in welcher Form dieses lästige und unpopuläre Thema prominent im Rahmen des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes thematisiert werden wird ist noch fraglich. Immerhin hat die CDU Ende 2020 ein Konzept vorgelegt, das unter anderem Anreize zur Längerarbeit und die Umgestaltung des Umlagesystems in eine Mischung aus Umlage und Kapitaldeckung vorsieht und die Bedeutung privater Kaptalbildung betont. Wieviel davon sich im Wahlprogramm oder gar in einem möglichen Koalitionsvertrag niederschlagen wird, bleibt jedoch offen.

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