Der Mythos vom schwedischen Sozialismus

von Juan De Dios Estevez

In den letzten Jahren haben prominente Politiker wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio Cortez einen Wechsel des politischen Systems gefordert und sich nach dem gesehnt, was sie „skandinavischen Sozialismus“ oder „schwedischen demokratischen Sozialismus“ nannten. Doch die Vorstellung, Schweden sei dank der sozialistischen Politik eines der reichsten und erfolgreichsten Länder der Welt, ist für Johan Norberg, Autor und Senior Fellow des CATO Institute, nur ein Mythos. In einem Interview mit Students for Liberty Deutschland spricht Norberg darüber, wie das sozialistische Experiment in Schweden die Wirtschaft zum Einsturz brachte und das Land verarmte, kurz bevor es zu einem System zurückkehrte, das auf Freihandel und privaten Eigentumsrechten basierte und seitdem erfolgreich ist.
Für Norberg stammt die Wahrnehmung, Schwedens sei sozialistisch, aus der Zeit zwischen 1950 und 1970, als Schweden tatsächlich eine Reihe von sozialistischen Reformen durchführte. Heute ist es absurd, Schweden als sozialistisch zu bezeichnen, da es eine der freiesten Volkswirtschaften und Gesellschaften der Welt hat. Um es in die richtige Perspektive zu rücken: Auf der Grundlage einer US-Umfrage haben 36% der Amerikaner eine positive Einstellung zum Sozialismus, darunter 16% der selbsternannten Republikaner. Währenddessen identifizieren sich in Schweden nur 9% der Bevölkerung als Sozialisten. Im Verhältnis dazu gibt es also mehr Sozialisten in der Republikanischen Partei als in ganz Schweden. Norberg hat dieses Thema in seinem 2018 erschienenen Dokumentarfilm Sweden: Lessons for America? diskutiert.
Aber woher kommt der Reichtum Schwedens? Norberg erklärt, dass Schweden eigentlich eine lange Tradition von klassischen liberalen Intellektuellen und Politikern hat. Der Vater des schwedischen Liberalismus, Anders Chydenius, öffnete mit seinen Schriften die Türen für liberale Reformen in Schweden. In den 1760er Jahren war er Abgeordneter im Parlament und beschrieb das liberale System Schwedens. In der Mitte des 19. Jahrhunderts machte Johan A. Gripenstedt als Finanzminister den Weg frei für mehr Freihandel und Unternehmensgründungen. Schweden trat dem anglo-französischen Freihandelspakt bei und dank verschiedener weiterer liberaler Reformen, begann Schweden zu blühen. Am Ende des 19. Jahrhunderts erlebte Schweden eine Zeit der raschen Industrialisierung und der Schaffung von erheblichem Wohlstand. Mit einer kleinen, beschränkten Regierung wurden sogar private Wohlfahrtsdienste eingerichtet. Die Kombination aus liberaler Politik und der Nichteinmischung in zwei Weltkriege verhalf Schweden dazu, das zweitreichste Land Europas zu werden – dicht hinter der Schweiz. 
Die Sozialdemokraten, die seit 1932 an der Macht waren, hielten sich bei der Umsetzung neuer Reformen zunächst zurück. Doch mit dem Einfluss von Gunnar Myrdal – der 1974 mit Hayek den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten sollte – erhielt in den 1960er Jahren eine sozialistische Politik Einzug. Für Myrdal hatte Schweden alle „Zutaten“ für den Aufbau eines erfolgreichen Wohlfahrtsstaats, da es bereits über eine wohlhabende Ausgangsbasis verfügte. Innerhalb von 20 Jahren verdoppelten sich die öffentlichen Ausgaben von 31% auf 60%, die Steuern wurden erhöht, die Unternehmen und der Arbeitsmarkt stark reguliert, und die Regierung begann sogar mit der Idee zu spielen, die Produktionsmittel in einem System zu sozialisieren, das „Lohnverdienerfonds“ genannt wurde. Es war in den 1970er Jahren, als der schwedische Sozialismus seine höchste internationale Wertschätzung erlangte. 
Dies ist die Zeit, an die sich US-Politiker noch erinnern, stimmt Norberg zu. Aber sie sprechen nicht über die Politik, die Schweden überhaupt erst dorthin gebracht hat. Es war die frühe liberale Politik, die den Reichtum schuf, den Schweden dann leichtfertig ausgab.
Für Norberg machte die liberale Politik in der Vergangenheit das sozialistische Experiment überhaupt erst möglich. Heute wird wenig über die Nachwirkungen dieses Experiments gesprochen. Die sozialistischen Reformen zerstörten die Wirtschaft des Landes, Unternehmer und Unternehmen verließen das Land, um bessere Chancen zu haben – unter anderem IKEA – Schweden rutschte ab, von 10% wohlhabender als der OECD-Durchschnitt zu 10% ärmer. Während Schweden als Arbeiterparadies angesehen wurde, fraß die Inflation in Wirklichkeit jeden Einkommenszuwachs auf. In 25 Jahren ist das Durchschnittseinkommen nicht gewachsen. Die Reformen trugen nicht dazu bei, dass seit 1950 auch nur ein einziger Nettoarbeitsplatz im privaten Sektor geschaffen wurde.
Das sozialistische Experiment, das von Schulden und einem durch Inflation angeheizten Boom getragen wurde, fand Anfang der 90er Jahre in einer Finanzkrise sein jähes Ende. Die Sozialdemokraten waren die ersten, die die Unhaltbarkeit und Absurdität der sozialistischen Reformen anerkannten und sich bereit erklärten, tiefgreifende Veränderungen und Reformen durchzuführen. Nach der Krise änderte sich das schwedische System dramatisch. Die Wirtschaft wurde wieder liberalisiert, die Regierungsgröße um ein Drittel reduziert, die Steuern gesenkt und staatliche Unternehmen privatisiert. Norberg stimmt zu, dass Schweden noch viele Herausforderungen zu bewältigen hat, aber jetzt, mit einer stabileren Wirtschaft, die auf freien Märkten basiert, scheint die Zukunft Schwedens um einiges verheißungsvoller. 
Das ganze Interview gibt es hier auf YouTube.

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1 Kommentare

The Myth of Sweden’s Socialism 5. Mai 2020 - 13:00

[…] The article was first published in German at PEACE LOVE LIBERTY. […]

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